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Nora Morgenroth: Die Gabe

Nora Morgenroth: Die Gabe

Titel: Nora Morgenroth: Die Gabe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kerstin Michelsen
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Träume von Marc oder was ich für Träume gehalten hatte. Natürlich, Marc war ja auch tot und er hatte immer wieder von seiner Schuld und den Schulden gesprochen, als ich über seine Spielsucht noch gar nichts wissen konnte. Ich hatte nicht geträumt, auch er hatte zu mir gesprochen.
    Ich stand eine Weile wie erstarrt . Und während mein Verstand noch versuchte, irgendeine plausible Erklärung zu finden, wusste ich tief in meinem Innersten, dass sich etwas verändert hatte, vielleicht für immer.
    Mein ganzes Leben lang war ich immer realistisch gewesen, hatte esoterischen Phänomenen wie Pendeln oder Kartenlegen mit Skepsis oder Belustigung gegenüber gestanden. Alles Hokuspokus, hatte ich immer gedacht, tot ist tot und fort ist fort.
    Und jetzt stand ausgerechnet ich hier am Grab meiner Lieben und kämpfte gegen die Einsicht an, dass mir etwas widerfuhr, was nicht nur nicht normal, sondern paranormal war. Und ich hatte nicht die leiseste Idee, was ich jetzt dagegen tun sollte und ob ich das überhaupt noch wollte. Ich bückte mich und strich mit der Hand einmal leicht über die Grabsteine, wie ich das jedes Mal zum Abschied tat. Dann ging ich.
    Später konnte ich nicht mehr sagen, wie ich zum Krankenhaus gekommen war. Natürlich hatte ich die öffentlichen Verkehrsmittel benutzt . Die Fahrt an sich war in meinem Gedächtnis jedoch nicht vorhanden. Ich fand mich an Heddas Bett wieder und ertappte mich dabei, wie ich nur mit einem halben Ohr zuhörte. Meine Schwester war in wesentlich besserer Verfassung als am Vorabend. Ihr Blick war klar und sie sah frisch und ausgeruht aus. Hedda wollte nun unbedingt über die Trauerfeier sprechen. Sie hatte sich auf einem kleinen Block krakelige Notizen gemacht, die sie jetzt mit mir durchging.
    „… und das musst du Mutter unbedingt klarmachen, ja? Ich kann mich jetzt nicht so gut gegen sie durchsetzen. Nora, hörst du mir überhaupt zu?“
    „Ja, natürlich höre ich dir zu. Was hast du eben gesagt?“
    Zum ersten Mal seit dem Unfall hörte ich meine Schwester laut auflachen. Sie lachte und warf dabei den Kopf in den Nacken, wie sie es immer tat, wenn etwas besonders komisch war. Das Lachen war einfach ansteckend. Dann wurde Hedda wieder ernst.
    „He, ich habe noch gar nicht gefragt, wie es dir eigentlich geht?“
    „Mir geht es gut.“
    „Du siehst aber nicht so aus. Hör mal, wenn dir das zu viel ist, dann rede ich eben mit Mutter. Schließlich ist es meine Trauerfeier … also, nicht meine, aber die meines Mannes. Da werde ich ja wohl ein Wörtchen mitreden dürfen. Die Trauerkarten sind gedruckt, das lässt sich nicht mehr ändern.“
    Sie hielt ein schwarz umrandetes Kärtchen aus einem teuren, steifen Karton hoch.
    „Aber wer eingeladen wird und wer nicht, das bestimme immer noch ich. Ich lasse nicht zu, dass der Abschied von Marc zu einem von Mutters gesellschaftlichen Ereignissen wird. Immer auf Kundenfang, die geht doch über Leichen.“
    Ich sah Hedda erschrocken an, dann prusteten wir beide los. „Nora, aber nun sag doch mal im Ernst. Wie geht es dir wirklich?“
    „Mir geht es gut, ehrlich. Ich habe nur gestern … ach, du weißt ja, wie das ist . Silvester allein, ich musste an Daniel denken und habe dann mein Selbstmitleid in zu viel Sekt ertränkt. Aber keine Sorge, ich regle das mit Mutter, ich muss sie sowieso noch anrufen. War sie eigentlich schon hier heute?“
    Hedda schüttelte den Kopf.
    „Madame hat sich telefonisch über das Schwesternzimmer entschuldigen lassen. Vielleicht hat sie einen neuen Lover, ich hatte schon so einen Verdacht. Als wenn ich hier nicht erreichbar wäre.“
    Mit einem Kopfnicken deutete sie zum Nachtisch, wo ihr altes Klapphandy lag.
    Wir grinsten uns an. Da wir beide mit derselben Mutter aufgewachsen waren, bedurfte es keiner weiteren Worte. Was auch immer ihre Gründe waren, Ursula Morgenroth hatte sich heute vor dem täglichen Besuch gedrückt, den sie sich selbst auferlegt hatte, weil das wohl ihrer Vorstellung von einer liebenden und aufopferungsvollen Mutter entsprach. Vermutlich dachte sie selbst, dass sie immer alles für ihre Töchter getan hatte. Dass uns eine Mama, die einen nach der Schule an der Haustür begrüßte und in den Arm nahm, lieber gewesen wäre als teure Geschenke, würde sie niemals verstehen. Jedenfalls würde ich Heddas Wünsche durchsetzen. Eine kleine Feier im engsten Kreis, keine steife Großveranstaltung. Sobald ich nach Hause käme, würde ich Mutter anrufen. Ich war froh und dankbar,

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