Nora Roberts
eingeschlafen war, spielte er weiter, wobei er plötzlich eine so traurige und so sanfte Melodie erklingen ließ, daß Shannon blinzelte.
Etwas in ihrem Herzen brach, als Brianna leise zu singen begann. Andere stimmten mit ein, und Shannon hörte die Geschichte eines tapferen Soldaten, der als Märtyrer für sein Land gestorben und dessen Name James Conolly gewesen war.
Am Ende des Liedes zog Rogan den schlafenden Jungen auf seinen Schoß, und Murphy griff nach seinem Bier. »Ich hoffe, das hat Ihnen gezeigt, daß es bei uns nicht nur Trinklieder gibt.«
Auch wenn sie nicht sicher war, daß sie es wollte, war sie zutiefst gerührt. »Es ist eine eigenartige Kultur, in der ein so liebliches Lied über eine Hinrichtung geschrieben wird.«
»Wir vergessen unsere Helden eben nicht«, sagte Maggie in leicht schnippischem Ton. »Aber ist es nicht so, daß in Ihrem Land Schlachtfelder zu beliebten Touristenattraktionen umfunktioniert worden sind? Gettysburg und so?«
Shannon bedachte Maggie mit einem kühlen Blick, dann nickte sie. »Touché!«
»Und die meisten von uns tun so, als hätten sie damals auf der Seite des Südens gekämpft«, sagte Gray.
»Für die Sklaverei.« Maggie stieß ein verächtliches Schnauben aus. »Aber wir wissen mehr über die Sklaverei, als ihr euch erträumt.«
»Nicht für die Sklaverei.« Gray, der ein Freund hitziger Debatten war, schob sich näher an sie heran. »Für einen bestimmten Lebensstil.«
»Jetzt sind sie beide zufrieden«, murmelte Rogan, als er die Diskussion zwischen seiner Frau und seinem Schwager vernahm. »Gibt es irgend etwas Bestimmtes, was Sie während Ihres Aufenthaltes in Irland tun oder sehen möchten, Shannon? Es wäre uns ein Vergnügen, Ihnen behilflich zu sein.«
Er sprach mit einem anderen Akzent, bemerkte sie. Unmerklich weicher und zugleich mit einer Deutlichkeit, die seine Erziehung in einer teuren Privatschule erahnen ließ. »Ich nehme an, ich sollte mir die typischen Touristendinge ansehen. Und mindestens eine der sagenumwobenen Ruinen, von denen im Zusammenhang mit Irland immer die Rede ist.«
»Gray hat eine nahegelegene Ruine in seinem Buch verwandt«, warf Murphy ein.
»Allerdings.« Brianna wandte den Kopf und versuchte, sich keine Sorgen zu machen, weil Diedre immer noch mit dem Baby verschwunden war. »Er hat dort einen widerlichen Mord inszeniert. Ich gehe nur mal schnell nach hinten und sehe nach, was Kayla macht. Murphy, möchtest du noch ein Bier?«
»Sehr gern.«
»Shannon?«
Überrascht merkte Shannon, daß sie ein leeres Glas in den Händen hielt. »Ich denke, ja.«
»Ich kümmere mich schon um die Getränke.« Rogan schob Liam seiner Frau auf den Schoß, stand auf und tätschelte Brianna die Wange. »Geh du nur und guck, was die Kleine macht.«
»Kennen Sie das hier?« fragte Murphy, als er wieder zu spielen begann.
Sie brauchte nur einen kurzen Augenblick. » > Scarborough Fair < .« Was für sie ein Oldie von Simon and Garfunkel war. »Singen Sie, Shannon?«
»So viel und so gut wie jeder, der eine Dusche und ein Radio hat.« Sie beugte sich fasziniert über das Instrument. »Woher wissen Sie, welche Knöpfe Sie drücken müssen?«
»Zuerst einmal muß man wissen, welches Lied man spielen will. Hier.«
»Nein, ich ...« Aber schon hatte er einen Arm um sie gelegt und ihre Hände unter seinen Händen durch die Schlaufen geführt.
»Zuerst muß man ein Gefühl dafür kriegen.« Er führte ihre Finger zu den Knöpfen und drückte sie sanft, während er den Blasebalg nach außen zog. Als sie den langgezogenen, klaren Ton vernahm, lachte sie.
»Das ist nur ein einziger Ton.«
»Wenn Sie einen hinkriegen, kriegen Sie auch andere hin.« Wie zum Beweis schob er den Blasebalg nach innen und legte ihren Finger auf einen anderen Knopf. »Der Wille und ein bißchen Übung sind alles, was man braucht.«
Vorsichtig tastete sie mit ihren Fingern herum und fuhr zusammen, als ein vollkommen schiefer Ton erklang. »Ich denke, ein wenig Talent wäre vielleicht auch nicht schlecht.« Dann lachte sie, als er ihre Finger führte und das Instrument zu neuem Leben erwachen ließ. »Und schnelle Hände. Wie können Sie sehen, ob Ihre Finger an den richtigen Stellen sind?«
Immer noch lachend, schüttelte sie ihr Haar aus dem Gesicht und sah ihn an. Das Pochen ihres Herzens war ebenso lebhaft wie die Melodie, nur wesentlich weniger angenehm.
»Es ist eine Frage des Gefühls.« Ihre Finger lagen jetzt reglos auf dem Instrument, aber er griff
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