Nora Roberts
Straße in vollkommene Dunkelheit getaucht, und außerdem sah es nach Regen aus.
Nur wenige Minuten nachdem sie am Blackthorn Cottage losgefahren war, bog sie bereits in eine von blutrot blühenden Fuchsienhecken gesäumte lange Einfahrt ein.
Sie hatte das Haus bereits vom Fenster aus gesehen, aber aus der Nähe betrachtet, sah es wesentlich größer und zweifellos beeindruckender aus. Das dreistöckige Gebäude aus Stein und Holz, das wirkte, als wäre es ebenso alt und ebenso gepflegt wie das Land, wurde vorn von der Hecke und hinten von einem Beet mit leuchtenden Blumen gesäumt.
Die Fassade wies spiegelblanke, quadratische, mit flachen Steinbögen verzierte Fenster auf, und Shannon entdeckte eine Veranda, die man vermutlich durch irgendwelche Türen an der Seite des Hauses betrat.
Aus zweien der Schornsteine schwebten gemütliche Rauchwolken in den immer noch blauen Himmel hinauf. Vor ihr in der Einfahrt war ein kleiner, schlammbespritzter Lieferwagen geparkt, neben dem, aufgebockt, ein alter Kombi stand.
Obgleich sie keine Ahnung von Autos hatte, sah sie mit einem Blick, daß die Glanzzeit dieses Wagens längst vorüber war.
Aber die Läden und das Balkongeländer des Hauses wiesen einen frischen, mattblauen Anstrich auf, der sanft mit dem grauen Stein zu verschmelzen schien. Auf der Veranda luden zwei Schaukelstühle zum gemütlichen Verweilen ein, und auch die geöffnete Haustür gab einem das Gefühl, willkommen zu sein.
Trotzdem klopfte sie und rief: »Murphy«, ehe sie das Haus betrat.
»Immer nur hereinspaziert.« Seine Stimme schien vom oberen Rand der Treppe zu kommen, die man am Ende des Flures sah. »Ich bin sofort unten. Ich habe gerade noch geduscht.«
Sie trat ein, schloß die Tür, spazierte neugierig durch den Flur hinab und spähte in eins der Zimmer, dessen Tür ebenfalls weit geöffnet war.
Ein Wohnzimmer, natürlich, dachte sie. Ebenso aufgeräumt wie bei Brianna, wenn auch ohne die typisch weiblichen Accessoires.
Alte, robuste Möbel waren auf einem schimmernden Parkettboden verteilt, und die Luft war vom würzigen Duft des in einem steinernen Kamin lodernden Torffeuers erfüllt. Der dicke, hölzerne Sims wurde von zwei kühn und zugleich sinnlich verschlungenen smaragdgrünen Kerzenständern flankiert. Sicher, daB es sich um Arbeiten von Maggie handelte, trat sie näher an sie heran.
Sie wirkten zu flüssig, zu weich, um fest zu sein. Doch das Glas unter ihren Fingern war kühl. Unter der Oberfläche war ein beinahe unmerklicher, faszinierender rubinroter Schimmer zu sehen wie eine kleine, heiße Flamme, die nur darauf wartete, daß sie eine Gelegenheit zum Ausbrechen bekam.
»Man hat das Gefühl, als könnte man direkt hineinfassen«, sagte Murphy von der Tür her.
Shannon nickte, fuhr ein letztes Mal mit der Hand über die Rundungen und drehte sich zu ihm um. »Sie ist brillant. Obwohl es mir lieber ist, wenn du ihr dieses Kompliment nicht weitergibst.« Während sie ihn musterte, zog sie die Brauen hoch. Er sah nicht viel anders aus als der Mann, der über seine Felder schritt oder musizierend im Dorfpub saß. Er hatte seine Mütze abgesetzt, und seine dichten Locken waren vom Duschen noch ein wenig feucht. Er trug einen hellgrauen Pullover und eine Hose, die eine Spur dunkler war.
Seltsam, aber er paßte ebensogut auf die Titelseite eines Modemagazins wie auf die des bäuerlichen Monatshefts. »Frisch geduscht siehst du wirklich nicht übel aus.«
Er setzte ein selbstbewußtes Grinsen auf. »Man merkt, du siehst die Dinge und die Menschen aus der Perspektive der Künstlerin. Tut mir leid, daß du warten mußtest.«
»Kein Problem. Ich habe mich gern ein bißchen umgesehen.« Ihr Blick wanderte von ihm zu einer Bücherwand. »Da hast du ja eine regelrechte Bibliothek.«
»Oh, hier habe ich nur einen Teil meiner Bücher untergebracht.«
Er blieb im Türrahmen stehen, während sie näher an die Regale trat. Joyce, Yeats, Shaw. Was zu erwarten gewesen war. O'Neill, Swift und natürlich Grayson Thane. Aber darüber hinaus hatte sie das Gefühl, mitten in eine wahre Schatztruhe geraten zu sein. Poe, Steinbeck, Dickens, Byron. Die Gedichte von Keats und Dickinson und Browning. Abgenutzte Bände von Shakespeare und ebenso häufig durchgeblätterte Werke von MacAffrey, MacMurtrey und King.
»Eine originelle Sammlung«, sagte sie. »Und du hast noch mehr?«
»Hier und überall im Haus, damit ich, wenn mich die Lust zu lesen überkommt, nicht weit gehen muß. Ein Buch ist
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