Nora Roberts
Löffel in die Schale, die Gray ihr hingestellt hatte. »Er behauptet, daß er mich hofiert.« Sie schnaubte und schob sich etwas von dem Biskuitauflauf in den Mund. »Kannst du dir das vorstellen?« fragte sie Gray.
»Ah ....« Er fuhr sich mit der Zunge über die Zähne. »Nein.«
Mit weit aufgerissenen Augen setzte sich Brianna auf ihren Stuhl. »Er hat gesagt, daß er dich hofieren will?«
»Er hat gesagt, daß er es tut«, verbesserte Shannon, während sie sich einen zweiten Löffel Auflauf zwischen die Lippen schob. »Er hat die verrückte Vorstellung, er hätte sich bereits beim ersten Anblick in mich verliebt und wir wären füreinander bestimmt oder sonst irgendein Schwachsinn. All dieser Unsinn von Erinnerung und Wiedererkennen. Idiotisch«, murmelte sie und nahm sich eine Tasse Tee.
»Murphy hat noch nie eine Frau hofiert. Er hat es nie gewollt.«
Shannon sah Brianna mit zusammengekniffenen Augen an. »Ich wünschte, ihr benütztet nicht alle dieses antiquierte Wort. Es macht mich nervös.«
»Das Wort?« mischte Gray sich ein. »Oder die Tat?«
»Beides.« Sie stützte das Kinn auf die Faust. »Als wären die Dinge auch nicht so schon kompliziert genug.«
»Ist er dir gleichgültig?« fragte Brianna.
»Gleichgültig«, Shannon runzelte die Stirn, »ist wohl nicht das richtige Wort.«
»Die Handlung verdichtet sich.« Gray grinste nur, als er Shannons böse Miene sah. »Ich hoffe, du weißt, daß die Iren ein ziemlich sturer Menschenschlag sind. Und ich bin nicht sicher, ob die Iren von der Westküste nicht vielleicht die stursten von allen sind. Wenn Murphy ein Auge auf dich geworfen hat, dann denke ich, daß es dort auch bleiben wird.«
»Mach dich nicht lustig über sie, Gray.« Mitfühlend legte Brianna Shannon die Hand auf den Arm. »Sie ist völlig durcheinander, und außerdem sind zwei Herzen im Spiel.«
»Oh nein!« Wenigstens in diesem einen Punkt konnte sich Shannon sicher sein. »Es ist ein himmelweiter Unterschied, ob man daran denkt, mit einem Mann ins Bett zu gehen, oder ob man den Rest seines Lebens mit ihm verbringen will. Und was Murphy betrifft, so ist er wohl einfach ein zu großer Romantiker.«
Mit zusammengezogenen Brauen kratzte sie den restlichen Auflauf aus ihrer Schale heraus. »Es ist einfach Unsinn zu glauben, daß ein paar seltsame Träume so etwas wie ein Wink des Schicksals sind.«
»Murphy hat seltsame Träume gehabt?«
Shannon hob geistesabwesend den Kopf. »Keine Ahnung. Ich habe ihn nicht gefragt.«
»Dann hast du also Träume gehabt.« Gray hätte nicht zufriedener sein können, und begeistert beugte er sich über den Tisch. »Erzähl mir von den Träumen – vor allem von den Stellen, an denen es erotisch wird.«
»Hör auf, Grayson.«
Aber Shannon lachte nur. Eigenartig, dachte sie, aber hier hatte sie endlich den großen Bruder, den sie sich gewünscht hatte, seit sie ein Kind gewesen war. »Es gibt keine Stelle, die nicht erotisch ist«, erklärte sie ihm, wobei sie sich mit der Zungenspitze über die Lippen fuhr.
»Ach nein?« Er schob sich noch dichter an sie heran. »Dann fang am besten ganz von vorne an und laß keine auch noch so unbedeutende Stelle aus.«
»Achte nicht auf ihn, Shannon.«
»Schon gut.« Mehr als gesättigt, schob sie die Schale beiseite und sah die beiden an. »Ich weiß nicht, ob es euch interessiert, aber nie zuvor habe ich auch nur zweimal dasselbe geträumt. Und jetzt träume ich immer dasselbe, auch wenn es ziemlich schablonenartig und nicht immer in derselben Reihenfolge ist.«
»Du treibst mich in den Wahnsinn«, stöhnte Gray. »Jetzt erzähl endlich, worum es in deinen Träumen geht.«
»Also gut. Es fängt auf dem Feld an, dort, wo der alte Steinkreis steht. Seltsam, aber ich habe geträumt, dort zu sein, noch ehe ich ihn überhaupt das erste Mal gesehen hatte. Obwohl das einfach unmöglich ist. Trotzdem ...« Sie winkte ab. »Es regnet. Es ist kalt, der Boden frostbedeckt. Er klingt wie knirschendes Glas, wenn ich darüber gehe. Das heißt, nicht ich«, verbesserte sie sich mit einem halben Lachen. »Sondern die Frau in dem Traum. Dann ist da ein Mann, dunkles Haar, dunkler Umhang, ein weißes Pferd. Ihre Leiber dampfen, und seine Stiefel und Rüstung sind schlammbespritzt. Er reitet in gestrecktem Galopp auf mich – auf sie – zu. Und sie steht da, und der Wind weht ihr durchs Haar und ...«
Sie unterbrach sich. Sie hatte das kurze, überraschte Aufblitzen in Briannas Augen und den eiligen Blickaustausch
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