Noras großer Traum (German Edition)
dabei vorgingen. Gespannt beobachtete sie, wie geschickt er war und dem Schaf die Wolle fast in einem Stück »auszog«. Das glatte, plötzlich so schmale Tier kam ihr nun merkwürdig nackt vor und tat ihr fast schon Leid. Innerlich seufzend stellte sie für sich fest, dass Tom mit seiner Bemerkung »Großstadtpflanze« offensichtlich nicht so verkehrt lag.
12
A m Nachmittag wurde es Zeit, sich auf den Rückweg zu machen. Der Abschied von Laura und Matt war herzlich, und Nora hatte das Gefühl, Freunde gewonnen zu haben. Matt erklärte Tom eine Abkürzung, so dass sie noch vor Einbruch der Dunkelheit in Cameron Downs sein würden. Beide winkten noch einmal, bevor sie die Auffahrt hinabfuhren.
Als sie außer Sichtweite waren, legte Nora ihren Kopf an Toms Schulter und schmiegte sich an ihn.
»Seit einer Ewigkeit waren das die zwei schönsten und aufregendsten Tage für mich. Und daran sind Sie nicht ganz unschuldig, Dr. Morrison.«
Er gab ihr einen Kuss und grinste. »Dich muss man einfach glücklich machen, mein Herz.«
Sie knuffte ihn in die Seite, und beide lachten. Sie waren glücklich, noch Zeit füreinander zu haben, bevor sie endgültig in Cameron Downs eintreffen würden. Sie genossen den Augenblick, die Gegenwart. Nach einer guten Stunde Fahrt bekam Nora Durst. Tom deutete nach hinten.
»Die Wasserflasche liegt hinter deinem Sitz. Ich glaube, ich könnte auch etwas vertragen.«
Nora angelte seitlich hinter sich, erreichte sie aber nicht. Seufzend löste sie den Sicherheitsgurt und kniete sich auf ihren Sitz, um an die Flasche zu gelangen.
Nichts, absolut nichts deutete darauf hin, wie sehr sich ihr Leben im nächsten Moment verändern sollte.
Mit einem lauten Knall platzte der Reifen, und der Wagen begann aus voller Fahrt heraus zu schleudern. Sie hörte noch Toms Schrei: »Festhalten!«
Aber es war zu spät. Verzweifelt versuchte er den Wagen wieder unter Kontrolle zu bekommen, während es Nora nirgendwo gelang, Halt zu finden. Die Bewegungen des schleudernden Fahrzeugs warfen sie hin und her, und als ihr Kopf Augenblicke später zum ersten Mal gegen den Türrahmen prallte, wurde es dunkel um sie. Sekunden danach krachte das Auto an einen Baum. Der Aufprall war heftig gewesen. Nora war bewusstlos, als Tom sie aus dem Wagen zog. Selbst leichter verletzt, war er schnell zu sich gekommen und hatte sich sofort um sie gekümmert. Er legte sie am Fahrbahnrand ab, humpelte so rasch er konnte zum Heck des Autos, um seinen Arztkoffer zu holen, und kniete sich neben sie. Auf den ersten Blick konnte er sehen, wie schwer ihre Kopfverletzung war. Neben der Wunde am Kopf lief auch aus einem Ohr Blut. Besorgt registrierte er alle Hinweise auf einen Schädelbruch. Mechanisch begann er mit der Erstversorgung, überprüfte die Vitalfunktionen, maß den Blutdruck und legte eine Infusion, deren Beutel er an einem Baum über Nora befestigte. Er arbeitete schnell und routiniert, obwohl dieses Mal seine Hände zitterten und verzweifelte Gedanken durch seinen Kopf wirbelten.
Er stellte mehrere Brüche fest, von denen das linke Schlüsselbein der harmloseste war. Mindestens zwei Rippen waren gebrochen, und aus einer offenen Unterschenkelfraktur ragten unschön helle Knochen. Ob und wie schwer die Wirbelsäule verletzt war, konnte er noch nicht einschätzen. Ihr Gesicht war kalkweiß, und ihre Kreislaufwerte gefielen ihm gar nicht. Und all das hier, mitten im Outback. Er sah sich um und versuchte das Entsetzen, das in ihm aufstieg, zu unterdrücken. Er atmete tief durch und richtete und versorgte schließlich, soweit es seine Ausstattung hier zuließ, noch den offenen Bruch.
Dann fiel sein Blick auf den zischenden Wagen, unter dem sich das Kühlwasser in einer Lache sammelte. Hoffentlich funktionierte das Funkgerät noch. Unglücklich sah er Nora an. Sie war immer noch nicht zu sich gekommen. Er strich ihr über die Wange. Sein Flüstern klang eindringlich. »Bitte, Liebling, bleib bei mir!« Aufmerksam betrachtete er ihr Gesicht. »Nora, komm schon, sag etwas.« Als keine Reaktion erfolgte, sank er in sich zusammen und fuhr sich mit beiden Händen über die Augen. Das konnte doch einfach nicht wahr sein. Wie vielen Menschen hatte er schon geholfen. Und ausgerechnet der Frau, die er sich aus seinem Leben nicht mehr wegdenken mochte, musste er hier draußen beim Sterben zusehen. Er wusste, dass er das nicht ertragen konnte. Doch bevor ihn die Verzweiflung zu überrollen drohte, siegte sein Verantwortungsgefühl. Er riss
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