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Nord gegen Süd

Nord gegen Süd

Titel: Nord gegen Süd Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jules Verne
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Befriedigung darüber empfinden würde, war ein Bursche von zwanzig Jahren, Namens Pygmalion, der gewöhnlich nur Pyg genannt wurde. In dem Hause der eigentlichen Dienstleute des Castle-House beschäftigt, wohnte genannter Pyg auch in demselben. Er arbeitete weder in den Feldern noch in den Werkstätten oder auf den Zimmerplätzen von Camdleß-Bay. Wir müssen hier vorausschicken, daß Pygmalion nur ein lächerlicher, eitler und ziemlich träger junger Mann war, dem seine Herren Vieles aus Gutmüthigkeit so hingehen ließen. Seitdem die Sclavenfrage zur brennenden Frage geworden, mußte man ihn nur seine großmäuligen Phrasen über die menschliche Freiheit vortragen hören. Vorzüglich seine Stammesgenossen belästigte er bei jeder Gelegenheit mit seinen Flunkereien, wenn diese auch nur darüber lachten. Er setzte sich auf’s hohe Pferd, wie man sagt, er, den jeder Esel schon abgesattelt hätte. Da er aber im Grunde nicht bösartiger Natur war, so ließ man ihn nach Herzenslust sich heiser reden.
    Man erkennt schon, welcherlei Verhandlung er mit dem Verwalter Perry haben mußte, wenn dieser in der Laune war, ihn anzuhören, und man kann sich wohl vorstellen, wie er diesen Freilassungsact aufnahm, der ihm seine »Menschenwürde« wieder geben sollte.
    Heute wurde den Schwarzen also gemeldet, daß sie sich in dem reservirten Park des Castle-House zu versammeln hätten; dort wollte ihnen der Besitzer von Camdleß-Bay eine wichtige Mittheilung machen.
    Ein wenig vor vier Uhr – der für die Versammlung festgesetzten Stunde – hatte sich das ganze Personal, das übrigens aus den Baracken kam, vor dem Castle-House anzusammeln begonnen. Die wackeren Leute waren nach dem Mittagessen gar nicht wieder nach den Werkstätten, noch in die Felder oder nach den Stellen, wo Bäume gefällt wurden, zurückgekehrt. Sie hatten etwas Toilette machen und die Arbeitsanzüge gegen den Sonntagsstaat vertauschen wollen, wie das übrigens von jeher Sitte war, wenn sie innerhalb der Umzäunung etwas zu schaffen hatten. Es herrschte jetzt überall reges Leben und schnelles Hinundherlaufen von Hütte zu Hütte, während der Verwalter Perry, für sich in den Bart murmelnd, von einer Baracke zur anderen schritt.
    »Wenn ich bedenke, brummte er, daß man diese Schwarzen noch in der jetzigen Stunde mit vollkommenem Recht verkaufen könnte, da sie vorläufig doch nichts anderes als eine Waare sind!
    Nach Ablauf einer Stunde würde es nicht mehr zulässig sein, sie zu kaufen oder zu verkaufen! Ja, ich bleibe dabei, so lange ich noch einen Athemzug habe, der Herr Burbank mag nun reden und thun was er will, nach ihm der Präsident Lincoln und nach diesem alle Föderirten des Nordens und alle Freisinnigen beider Welten – es ist doch gegen die Natur!«
    In demselben Augenblicke befand sich Pygmalion, der auch noch nichts wußte, gerade ganz nahe bei dem Verwalter.
    »Warum wurden wir zusammengerufen, Herr Perry? fragte Pygmalion. Wären Sie so freundlich, es mir zu sagen?
    – Ja, Du Dummkopf, es geschah, um Dich…«
    Der Verwalter hielt inne, da er das Geheimniß ja nicht verrathen wollte. Da kam ihm noch ein Gedanke.
    »Tritt noch näher, Pygmalion,« sagte er.
    Pygmalion folgte der Aufforderung.
    »Ich zupfe Dich zuweilen an den Ohren, mein Junge, nicht wahr?
    – Ja, leider, Herr Perry, weil das – entgegen aller menschlichen und göttlichen Gerechtigkeit – einmal Ihr Recht ist.
    – Richtig, und weil das mein Recht ist, werd’ ich mir gestatten, davon noch einmal Gebrauch zu machen.«
    Und ohne auf das Wehgeschrei Pygmalion’s zu achten und übrigens auch, ohne ihm besonders hart mitzuspielen, zerrte er diesen noch einmal an den Ohren, die schon eine recht anständige Länge hatten. Wahrlich, es schien dem Verwalter eine Herzenserleichterung zu sein, zum letzten Male eines seiner Rechte bei einem Sclaven der Pflanzung geltend gemacht zu haben.
    Um vier Uhr erschienen James Burbank und die Seinigen auf dem erhöhten Vorplatz des Castle-House. Innerhalb der Umzäunung standen siebenhundert Sclaven – Männer, Frauen und Kinder – in Gruppen beisammen, selbst einige zwanzig solcher alten Schwarzen, welche, als sie zur Arbeit untauglich geworden waren, in den Baracken von Camdleß-Bay eine sichere Zuflucht für ihre alten Tage fanden.
    Sofort wurde es ringsum tief still. Auf einen Wink James Burbank’s ließen Perry und die Unterverwalter das Personal näher herantreten, damit Jeder die ihnen zu eröffnende Mittheilung deutlich verstehen

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