Norddeutschland, Morddeutschland - 3 Krimis von der Küste (German Edition)
nicht alles für einen Schluck, wenn man durstig war? Es dauerte ein paar Augenblicke, bis er einen klaren Gedanken fassen konnte und der Schmerz etwas nachließ. Sein Kopf brummte. Er hob die rechte Hand und betastete vorsichtig die Stirn. Offenbar hatte er einen Schlag bekommen, denn dort war eine schmerzende Schwellung. Jede Bewegung fiel ihm schwer, so als hätte er Blei in Armen und Beinen. Zudem war ihm furchtbar übel.
Der Raum, in dem er sich befand, war vollkommen dunkel. Er konnte nicht einmal die Hand vor Augen sehen. Der Untergrund war sandig. Außerdem hörte man in der Ferne ein beständiges Rauschen.
Das Meer!
„Hallo?“, fragte er mit entsetzlich schwach klingender Stimme. „Ist da wer?“
Er bewegte das Bein und vernahm ein Geräusch wie das Rasseln einer Kette. Im nächsten Augenblick stellte er durch Abtasten fest, dass es sich tatsächlich um eine Kette handelte. Ihm fuhr der Schreck in die Glieder. Ein Eisenring umfasste sein Fußgelenk. Tiefste Verzweiflung keimte in ihm auf. Man hatte ihn angekettet wie einen Hund.
Dann hörte er ein leises Geräusch.
Er lauschte angestrengt.
Ein Schloss wurde geöffnet, ein Riegel zur Seite geschoben.
Leise quietschend öffnete sich eine Tür, und der von draußen hereindringende Lichtschein war so grell, dass er geblendet wurde und die Augen zukniff. Das Licht fiel von schräg oben ein. Eine Gestalt kam ein paar knarrende, hölzerne Treppenstufen herab. Er öffnete die Augenlider einen Spalt und versuchte, die Person zu erkennen. Sie hob sich als Schattenriss dunkel gegen das Licht ab, ebenso wie – ihm gefror das Blut in den Adern – die Axt.
Der Schatten eines Henkers, ging es dem Angeketteten durch den Kopf.
Er schluckte. Ein Kloß schien ihm im Hals zu stecken. Die Kehle fühlte sich ausgetrocknet an, und da war immer noch ein Rest des schalen Geschmacks, den dieser Ranen-Met hinterlassen hatte.
Er wartete ab, rührte sich nicht. Sein Herz raste.
Die Gestalt zögerte. Für einen kurzen Moment fiel das Licht so herab, dass man die feingliedrige Hand sehen konnte, die sich um den Axtstiel schloss.
Ein Ring blitzte im Licht kurz auf.
Der Gefangene wartete, bis die Gestalt sich noch weiter näherte. Ein plötzlich auftretender Windstoß sorgte dafür, dass die Tür sich knarrend bis auf einen kleinen Spalt schloss. Es wurde merklich kühler und dunkler. Der geheimnisvollen Gestalt entfuhr ein kleiner Laut.
Jetzt oder nie! „Was wollen Sie von mir?“, mehr röchelnd als verständlich entrang sich der Kehle des Eingesperrten diese Frage.
Keine Antwort.
„Wo sind die anderen?“, fügte er noch schwächer hinzu.
Plötzlich verspürte er einen Luftzug. Dem ersten Schlag konnte er noch ausweichen, jedoch fühlten sich seine Bewegungen seltsam träge an, als würde sein Körper nicht auf ihn hören wollen. Ein reißender Schmerz durchschoss seinen Knöchel – in seiner Panik hatte er das kalte Eisen vergessen, das seinen Bewegungsradius enorm einschränkte.
Sein Gegenüber taumelte, vom Schwung der Axt ins Leere überrascht, fing sich aber schnell wieder und machte einen Schritt auf sein Opfer zu. Das Rasseln der Fußkette verriet, dass der Gefangene sich panisch hin und her bewegte.
Ein Lichtstrahl brach sich auf der Axt, die sich von Neuem erhob. Das Opfer mobilisierte all seine Kräfte, um sich mit einem verzweifelten Satz nach vorne auf seinen Peiniger zu werfen. Doch die Kette am Knöchel bereitete seinem Vorhaben ein abruptes Ende. Er schlug mit dem Gesicht auf dem Boden auf und ihn durchschoss ein höllischer Schmerz.
Nichts konnte dem Axthieb mehr Einhalt gebieten, der mit unaufhaltsamer Präzision niedersauste.
Stille trat ein.
***
Es war weit nach Mitternacht. Und der Himmel hatte sich mit Dunst zugezogen. Der Mond wirkte wie ein verwaschener Lichtfleck, und im Osten schimmerten bereits die ersten Strahlen der Morgensonne über den Horizont. Ein besonderes Zwielicht herrschte in dem Wäldchen – aber es war auch ein besonderer Ort.
Der Opferstein von Quoltitz, ein über siebzig Tonnen schwerer Granitfindling, lag zwischen gespenstisch wirkenden, knorrigen Bäumen, von denen man glauben konnte, dass sich aus der Runde jederzeit die Gesichter von Naturgeistern und Sagengestalten herausschälen mochten.
Ächzend schleifte die Schattengestalt den schlaffen, kopflosen Körper bis zu dem von grünem Moos überwucherten Stein und lehnte ihn dagegen. Der Kopflose drohte in sich zusammenzusacken. Dann wurde ein Seil um
Weitere Kostenlose Bücher