Norderney-Bunker
ganz genau.“
Juliane Aden stand auf. Wieder zupfte sie sich ihren Rock gerade. Dann stöckelte sie Richtung Tür.
„Mich brauchen Sie im Moment ja wohl nicht, hauchte sie und blickte sich zu Faust um. Der hatte seinerseits erhebliche Mühe, die Augen vom Gesäß der Hotel-Chefin zu nehmen.
„Gehen Sie nur“, stammelte er. „Sie hören von uns.“
In Höhe der Alten Teestube saßen Winnetou und Lübbert am Nachmittag auf einer Bank. Sie schauten auf die Nordsee, die selten derart leidenschaftslos dahinplätscherte, und rauchten eine Zigarette. Der ganz in Blau gekleidete Mann mit dem blauen Fahrrad und den prall gefüllten Satteltaschen fiel ihnen gleich auf.
„Extrablatt“, rief der ältere Herr mit den grauen Schläfen und dem am Schirm leicht abgewetzten Basecap. „Mord auf Norderney. Hotelier brutal erschlagen“, rief er, schon ein wenig heiser, und zog damit alle Aufmerksamkeit auf sich.
Winnetou sprang auf, rannte auf den Zeitungsboten zu, riss ihm ein Extrablatt vom Armstapel und drückte ihm einen Euro in die Hand. Dann lief er zurück zur Bank, von der Lübbert sich inzwischen erhoben hatte. Er schaute ihm höchst irritiert entgegen. Die Stirn in Falten und mit zittrigen Händen nahm Winnetou das Blatt in beide Hände. Lübbert blickte ihm über die Schulter. Es war eine zweiseitige Extra-Ausgabe der Norderneyer Badezeitung in DIN-A 4. Gleich unter dem Titelkopf zeigte es eine in Farbe gedruckte Außenansicht des Hotels Weißer Sand an der Winterstraße. Darunter titele das Lokalblatt in dicken Lettern: „Mord auf Norderney. Auf der Insel geht die Angst um“. Lübbert raunzte Winnetou ins Ohr: „Lies vor. Steht bestimmt nur Quatsch drin.“
„Halt’s Maul“, entgegnete Winnetou und hob an zu lesen, als ein Windstoß ihm das Papier aus der Hand riss. Es segelte stadteinwärts direkt Richtung Alte Teestube . Winnetou rannte hinterher, kurz vor der Terrasse geriet er ins Straucheln, bekam Übergewicht nach vorn und fiel der Länge nach auf den Bauch. Ein glatzköpfiger, muskulöser Mann mit strengem Blick, der das Lokal soeben verlassen hatte, lief Winnetou entgegen und half ihm auf. Winnetou schüttelte sich kurz, bedankte sich und humpelte zurück zur Bank. Dort wartete Lübbert auf ihn, der das Extrablatt in der Zwischenzeit vom Boden aufgehoben hatte.
„Geht’s wieder?“, fragte Lübbert, als sie nebeneinander auf der Bank Platz genommen hatten und beide das ungute Gefühl beschlich, von ausnahmslos allen Spaziergängern auf der Promenade beobachtet und belächelt zu werden. „Lies endlich“, antwortete Winnetou mit gequälter Stimme.
Mord auf Norderney
Auf der Insel geht die Angst um
Norderney/KML – Ein heimtückischer Mordfall erschüttert die Insel. Nach Informationen der Norderneyer Badezeitung wurde in der vergangenen Nacht der 41-jährige Hotelier Onno Aden ermordet. Der Chef des Hotels „Weißer Sand“ wurde am frühen Morgen von einem Jogger auf dem Minigolfplatz am Riffkieker tot aufgefunden. Die Polizei wollte diese Nachricht weder bestätigen noch dementieren. Wie es allerdings aus für gewöhnlich gut unterrichteten Feuerwehrkreisen verlautet, ist Aden erschlagen worden. Darauf würden schwere Kopfverletzungen hinweisen. Die Polizei hat für den Nachmittag eine Pressekonferenz im Weißen Saal des Conversationshauses anberaumt.
Unterdessen geht auf der Insel die Angst um. Viele Bewohner und Gäste fragen sich, ob der Täter sich noch auf Norderney aufhält oder ob es ihm gelungen ist, von der Insel zu flüchten. Hafen und Flugplatz sind inzwischen hermetisch abgeriegelt. Weitere Informationen und Hintergründe morgen in der NBZ.
„Da haben wir den Salat.“ Winnetou war außer sich.
„Ich habe doch gesagt, dass du zu fest zugeschlagen hast. Du Idiot! Jetzt haben wir nichts. Kein Geld, kein ruhiges Leben. Im Gegenteil, wir gehen in den Knast. Wir sind Mörder!“
Lübbert schwieg. Er vergrub den Kopf in beide Hände. Er schien nachzudenken. Wind kam auf. Eine Böe erfasste das Extrablatt und wehte es fort. Winnetou kramte seinen Tabakbeutel aus der Hosentasche und begann mit zittrigen Fingern zu drehen. Lübbert schwieg immer noch.
„Sag endlich was“, rief Winnetou ihm zu und schubste ihn mit dem Ellenbogen so fest in die Seite, dass er beinahe von der Bank gerutscht wäre.
„Schrei hier nicht so ’rum. Wir machen uns nur unnötig verdächtig. Ich habe ihn nicht totgeschlagen. So fest waren meine Schläge nicht. Der hat
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