Nordfeuer - Kriminalroman
bemerkte Marlene, während sie Teewasser aufsetzte. Sie machte sich Sorgen.
»Dann wird er wohl gewusst haben,
dass es nicht bei uns, sondern woanders gebrannt hat. Er macht doch mit bei dieser
Brandwache.«
»Ist doch gut.«
Tom nickte. Die Leute hier hielten
zusammen, darauf war Verlass. Das machte den Ort aus – natürlich neben diverser
anderer Dinge und seiner landschaftlichen Reize.
Manchmal jedoch störte ihn die Enge
des Dorfes. Dieses Gefühl, ständig beobachtet zu werden. Als Kind hatte er einige
Jahre in Risum-Lindholm gelebt, war dann aber nach München gezogen und kannte daher
auch die Vorzüge einer Großstadt.
»Meinst du denn, er kommt heute
zum Mittag? Eigentlich waren wir ja verabredet.«
»Ich hoffe doch«, entgegnete Marlene,
»wenn er nicht schon wieder in irgendwelchen Ermittlungen steckt.« Sie wusste, der
Brand an der Schule würde ihm keine Ruhe lassen.
»Aber ich wollte ihn fragen, ob
er eine alte Erzählung mit einem Brandstifter oder generell über Feuer kennt.«
Tom hob fragend seine linke Augenbraue.
»Ja, mein Chef hat am Montag gefragt,
ob ich aufgrund der ganzen Ereignisse in der letzten Zeit nicht einen Artikel im
nächsten Monatsheft schreiben will.«
»Dann war der Tag doch nicht so
erfolglos?«
Marlene zuckte mit den Schultern.
Ihr Konzept zum Gedenktag hatten sie jedenfalls nicht abgesegnet. Letztendlich
hatte man sich in der Besprechung ohnehin kaum für ihre Präsentation, sondern vielmehr
für den Brand am Wochenende interessiert. Die Idee mit dem Artikel war ihrem Chef
dann im Anschluss an das Meeting gekommen.
»Ich möchte da irgendwie einen alten
Text mit einfließen lassen, habe aber bisher nur Überlieferungen von wilden Feuern
gefunden. Das trifft ja bei den Bränden in der letzten Zeit nicht ganz so zu. Außerdem
wird auch nichts über deren Bedeutung gesagt.«
»Und sonst?«
Tom wunderte
sich. Er liebte diese Geschichten aus alter Zeit und kannte zahlreiche Texte. Nicht
zuletzt, weil Marlene sich aufgrund ihrer Tätigkeit intensiv mit diesem Volksgut
beschäftigte. Auch ihn faszinierten die Erzählungen, in denen Geister und Gespenster
umgingen, Unterirdische ihr Unwesen trieben oder einfach nur irgendwelche Naturereignisse
geheimnisvollen Ursprungs waren. Zwischen all den Sagen und Märchen musste doch
etwas Passendes zu finden sein.
»Da gab es wohl mal eine Erzählung
von Peter Jensen. 1928. Di Broinsitter. Da ging es anscheinend um einen Feuerteufel,
aber leider habe ich den Text noch nirgendwo gefunden.«
Haie hatte die Verabredung mit den
Freunden nicht vergessen. Er war allerdings nach den Ereignissen in der Nacht nicht
allzu früh aus dem Bett gekommen, und als er sich einen Kaffee machen wollte, stellte
er fest, dass kein Pulver mehr in der silbernen Blechbüchse war. Kurz entschlossen
hatte er sich auf sein Fahrrad geschwungen und war zum SPAR-Markt geradelt.
Ein Morgen ohne einen Kaffee – das
ging gar nicht.
In dem kleinen Supermarkt in der
Dorfstraße war um diese Zeit wenig los. Ein paar Hausfrauen schoben eilig ihre Einkaufswagen
durch die Gänge, zwei, drei Rentner schlenderten an den Regalen vorbei. Ansonsten
war es ruhig. Sehr ruhig. Für den Tag nach einem Brand. Der kleine Kaufmannsladen
galt als der Hauptumschlagplatz für die Neuigkeiten aus dem Dorf. Haie wunderte
sich daher, dass das Feuer der letzten Nacht nicht Thema war.
»Und hett jem all von de Füür letzte
Nacht hört«, fragte er Helene, die Besitzerin des Marktes.
»Ja, ja«, antwortete sie knapp.
Sie schien mit ihren Gedanken woanders zu sein.
»Alles in Ordnung?«, erkundigte
er sich deshalb, denn normalerweise gab Helene zu allem ihre Meinung kund.
»Ach«, sie blickte ihn das erste
Mal richtig an, seit er den Laden betreten hatte. »Der Fritz war vorhin ganz kurz
hier. Die Leiche aus der Schule, das ist wohl doch Katrin.«
»Was?«
»Hm«, sie nickte.
Haie war geschockt. Irgendwie hatte
er ja beinahe damit gerechnet, aber jetzt, wo sich der Verdacht bewahrheitete, jagte
es ihm doch einen gewaltigen Schrecken ein.
»Die Polizei sagt außerdem, dass
die Katrin ermordet worden ist.«
»Mord?«
Einer der Rentner lugte plötzlich
um die Ecke des Regals. »Schon wieder? Ist man sich denn selbst in Risum nicht mehr
seines Lebens sicher? Erst diese ganzen Brände, dass man jede Nacht um sein Hab
und Gut fürchten muss und nun auch noch wieder ein Mord? Was tut denn die Polizei
überhaupt?«
Haie konnte
die Äußerungen des älteren Mannes gut verstehen. So
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