Nordfeuer - Kriminalroman
Belange eines Kommissars. Warum sollte er
auch?
Am meisten aber ärgerte Thamsen
sich über sich selbst. Oder besser gesagt darüber, dass er nicht einfach souverän
über seinem Chef, den Kollegen und vor allem über seinem Vater stehen konnte. Er
war ein erfahrener Polizist und ein guter Vater. Daran änderte das Grinsen der überheblichen
Kripobeamten ebenso wenig wie die zynischen Behauptungen und Belehrungen seines
Vaters.
Er stoppte seinen Wagen vor der
Risumer Grundschule, holte tief Luft und stieg aus.
Haie Ketelsen
erwartete ihn bereits am Eingang des Gebäudes. Er hatte nicht gewusst, ob er den
Seitenflügel schon betreten durfte, denn immer noch war ein rot-weißes Plastikband
vor die Tür gespannt, deshalb hatte er vor dem Eingang auf den Kommissar gewartet.
»Herr Ketelsen«, begrüßte Thamsen
ihn. »Danke, dass Sie es so schnell einrichten konnten.«
»Selbstverständlich, ich helfe doch
gerne. Worum genau geht es denn nun?«
Dirk hatte den befreundeten Hausmeister
zur Schule gebeten, ohne ihm jedoch zu sagen, wobei er seine Unterstützung brauchte.
»Nun ja, die Untersuchungen haben
ergeben, dass die Frau, deren Leiche wir im Lehrerzimmer aufgefunden haben, ermordet
worden ist.«
»Sie meinen Katrin Martensen.« Haie
stellte fest, er fragte nicht. Natürlich konnte Thamsen sich denken, dass der Mord
an der Tochter des Landwirts sich im Dorf bereits herumgesprochen hatte. Er wäre
enttäuscht gewesen, wenn der Hausmeister noch nichts davon gehört hätte.
»Was wir noch nicht wissen ist,
womit das Opfer erschlagen wurde.«
Haie zog seine rechte Augenbraue
hoch. Sie suchten also nach der Tatwaffe.
»Und was suchen wir?«
So genau wusste Thamsen das auch
nicht. Im Bericht hatte lediglich etwas von einem stumpfen Gegenstand gestanden.
Das konnten viele Dinge sein. Ein Baseballschläger, ein abgerundeter Stein, ein
Hammer.
»Katrin Martensen ist also im Affekt
erschlagen worden?«
»Von Affekt habe ich nichts gesagt«,
wies Thamsen Haies Behauptung zurück.
»Aber möglich wäre es, oder?«
Er erzählte
dem Kommissar von seinem Verdacht.
»Holger Leuthäuser«, griff Thamsen
auf, »das würde zumindest den Tatort erklären. Vielleicht haben die beiden sich
hier heimlich getroffen. Einen Schlüssel hatte er ja.«
»Genau.« Haie sah seinen Ansatz
bestätigt. Und Katrin Martensen wohnte nicht weit entfernt. Nur ein paar hundert
Meter. Da hatte sie sogar zu Fuß zu ihrer Verabredung gehen können. Vermutlich hatten
die beiden es besonders reizvoll gefunden, sich hier zu treffen. Im Lehrerzimmer
miteinander zu schlafen. Was wusste er, was für Phantasien die junge Frau gehabt
hatte. Und dann war es zwischen ihnen zu einem Streit gekommen. Gut möglich, dass
Eifersucht eine Rolle gespielt hatte. Sogar sehr wahrscheinlich. Bei den angeblich
vielen Männerbekanntschaften, die Katrin Martensen gehabt haben sollte.
Magda Thamsen streichelte behutsam die Hand ihres Mannes. Kaum merklich
öffnete er die Augen bei der Berührung.
Am Nachmittag
war er endlich aus dem Koma erwacht, doch ansprechbar war er nicht. Sie wusste noch
nicht einmal, ob er sie erkannte. Starr hatte er sie angeblickt, so, als wäre sie
Luft. Die Ärzte hatten zwar noch keine endgültige Diagnose stellen können, ihr aber
gesagt, sie müsse mit dem Schlimmsten rechnen. Nur, was war das Schlimmste? Würde
er ein Pflegefall bleiben? Ohne Reaktionen? Nicht ansprechbar? Nur noch vor sich
hinvegetierend? Oder hatte er nicht mehr lange zu leben? Blieben ihm nur noch wenige
Tage?
Sie hatte nicht gewagt, nachzufragen.
Vielleicht, weil sie keine Antwort auf diese Fragen wollte. Sie wusste es nicht.
Leise schlich sie aus dem Zimmer
und ging hinunter in die Eingangshalle. Zum wiederholten Male versuchte sie ihren
Sohn zu erreichen, doch auch diesmal meldete sich wieder nur die Mailbox. Sie sprach
nicht drauf. Was hätte sie auch sagen sollen? Natürlich wünschte sie sich seine
Unterstützung, eine Schulter zum Anlehnen, Trost. Aber Dirk lebte sein eigenes Leben
und das Schicksal seines Vaters ging ihm nicht besonders nah. Das konnte sie gut
verstehen. Das Verhältnis der beiden war nicht einfach. Wie hätte es auch?
Hans Thamsen hatte für seinen Sohn
nie so etwas wie Liebe oder zumindest Zuneigung empfunden. Obwohl das Kind ihn mehr
als alles andere auf der Welt gebraucht hatte. So klein und hilflos, wie Dirk gewesen
war, und trotzdem hatte Hans Thamsen sich von ihm abgewandt. Magda konnte die Gründe
dafür verstehen, aber dass
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