Nordfeuer - Kriminalroman
sich nicht geirrt hatten und deutete auf die Villa,
die durch die Abendsonne wie in einem strahlenden Kleid vor ihnen lag.
»Hat ja auch
lange genug gedauert«, bemerkte Marlene und stieg aus. Natürlich hatte die Fahrt
über die A23 länger gedauert, als wenn sie über die A7 gefahren wären. Alleine bis
nach Heide, wo die Autobahn erst begann, dauerte es immer eine Ewigkeit, zumal heute
halb Nordfriesland auf der Straße Richtung Süden unterwegs gewesen war. Zumindest
hatten die ewig langen Autokolonnen den Eindruck erweckt. Als sie die zweispurige
Bahn dann endlich erreichten, hatte es gleich einen Unfall gegeben, der für einen
kilometerlangen Stau gesorgt hatte. Deshalb waren sie in Hamburg auch in den Feierabendverkehr
gekommen, hatten vor dem Elbtunnel wieder im Stau gestanden und letztlich ihr Ziel
erst mit reichlich Verspätung erreicht.
»Da seid ihr ja endlich!« Gesine
Liebig stand in der Eingangstür und hatte die Arme weit ausgebreitet. Wie immer
war sie perfekt geschminkt und frisiert. Zu einer wollweißen Stoffhose trug sie
eine hellblaue Bluse mit dezenten, aber aufwendigen Verzierungen, deren Muster sich
auf den farblich passenden Pumps wiederfand.
Marlene begrüßte ihre Mutter mit
einer Umarmung, die nach außen hin herzlich wirkte, von den beiden Frauen aber gleichermaßen
als kühl empfunden wurde.
Tom und Haie gaben der Dame des
Hauses artig die Hand.
»Kommt rein, die ersten Gäste sind
ja schon da«, drängte Gesine Liebig nach der Begrüßung. Marlene wusste, ihre Mutter
hatte reichlich Gäste eingeladen. Die Hochzeit sollte auf Marlenes Wunsch nur im
kleinen Kreis stattfinden. Natürlich hatte das ihrer Mutter nicht gefallen. Sie
sah sich als Bestandteil der Hamburger Society. »Kind, wie stellst du dir das vor?
Wir haben schließlich unsere Verpflichtungen.«
Letztendlich
hatten sie sich dank Tom, der in solchen Dingen immer etwas diplomatischer zu verhandeln
wusste, auf einen Empfang am Vorabend der Hochzeit geeinigt. Zu dem hatte Gesine
Liebig allerdings dann auch alles von Rang und Namen eingeladen. Auf dem Vorplatz
standen bereits etliche edle Wagen.
»Ich muss mich aber noch umziehen«,
bemerkte Marlene und Tom bat, sich ebenfalls passend kleiden zu dürfen.
»Na gut, aber beeilt euch.«
Sie blickte Haie, der keine Aussage
darüber machte, ob er bereits seine Abendgarderobe trug, mit prüfendem Blick an.
Haie hatte sich nicht sonderlich chic gemacht, da er nicht geahnt hatte, in was
für eine feine Gesellschaft sie sich begeben würden. Und abgesehen davon, hätte
er sowieso nichts zum Anziehen gehabt, was zu diesen vornehmen Leuten passte. Er
trug eine einfache graue Stoffhose und ein kariertes Hemd.
Gesine Liebig winkte leicht ab,
hakte sich dann einfach bei ihm unter und zog ihn mit sich.
»Armer Haie«, bemerkte Marlene,
als sie die Treppe in den ersten Stock hinaufstiegen. »Wir sollten uns wirklich
beeilen.«
»Ach was, Haie kriegt das schon
hin.«
Tom hatte es nicht eilig, zu dem
Empfang zu kommen. Der Umgang mit Marlenes Mutter war auch für ihn immer anstrengend,
da sie stets auf die Etikette achtete und äußerst oberflächlich war. Alles musste
jederzeit perfekt sein. Was könnten sonst die Leute von einem denken. Er fragte
sich manchmal, wie Marlene unter diesen Umständen so werden konnte, wie sie war.
Warmherzig, offen, freundlich, liebevoll. Obwohl er keine schlechte Meinung über
Gesine Liebig hatte. Sie hatte halt nur eine ganz andere Lebensart.
In dem geräumigen Schlafzimmer warf
er sich aufs Bett, während Marlene sich sofort daran machte, sich umzuziehen.
»Leg dich doch einen Moment zu mir«,
lockte Tom, doch Marlene litt wie immer unter einer nervösen Anspannung, die, sobald
sie ihrer Mutter gegenüber trat, von ihr Besitz ergriff. Außerdem war sie wegen
der bevorstehenden Hochzeit heute doppelt aufgeregt.
»Jetzt? Die warten doch alle auf
uns.«
Tom rappelte sich leicht stöhnend
auf und trat hinter Marlene, die vor dem großen Wandspiegel stand und den Sitz ihres
Kleides prüfte.
»Entspann dich mal. Das ist unsere
Hochzeit. Deine einzige Sorge sollte also sein, ob du mir gefällst. Und das tust
du.«
19.
»Ich hole euch dann morgen bei Mama ab«, rief Dirk seiner Tochter nach,
als sie vor der Schule aus dem Auto kletterte. Er winkte ihr kurz zum Abschied zu,
dann gab er Gas.
Das würde knapp werden. Er hatte
ganz vergessen, dass Anne heute erst zur zweiten Stunde in die Schule musste.
In Sande an der Abzweigung nach
Leck
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