Nordfeuer - Kriminalroman
seiner
Mutter hatte ihn wie in Trance versetzt. »Bitte, komm so schnell wie möglich ins
Krankenhaus.« Das hatte nicht nur angstvoll oder besorgt geklungen. Sondern irgendwie
schon beinahe panisch.
Er wusste gar nicht, was schlimmer
war. Wenn sein Vater sein Leben lang ein Pflegefall bleiben würde oder wenn er starb.
Wie sollte seine Mutter damit klar kommen? Finanziell war sie zwar abgesichert,
aber sonst? Sie tat immer, als sei sie eine resolute selbständige Frau, doch er
fragte sich, ob sie das wirklich war. In vielen Dingen erschien sie ihm einfach
hilflos.
Augenblicklich hatte er ein schlechtes
Gewissen, sich in den letzten Tagen nicht mehr um sie gekümmert zu haben.
Schon hatte er die Hochbrücke über
den Kanal erreicht. Die von Menschenhand geschaffene Wasserstraße zog sich quer
durch Schleswig-Holstein und verband die Nord- mit der Ostsee. Der meist befahrene
künstliche Wasserkanal der Welt hatte bereits mehr als hundert Jahre auf dem Buckel,
aber dennoch nichts von seiner Faszination eingebüßt.
Thamsen nahm heute die Fahrt über
die Rader Hochbrücke nicht bewusst wahr. Folglich beachtete er auch nicht die Geschwindigkeitsbegrenzung;
obwohl die Kollegen häufig ihr Blitzgerät auf dem Rastplatz an der Brücke aufstellten,
wie er wusste. Prompt ging er ihnen auch in die Falle und erschrak, als es plötzlich
grell am Straßenrand aufblitzte. »Mist!«
Reflexartig bremste er, doch das
nützte nun auch nichts mehr. Er blickte auf den Tacho und schätzte, gut 20 km/h
zu schnell gefahren zu sein. Hoffentlich waren es nicht mehr, denn ansonsten konnte
er seinen Führerschein erst einmal abgeben.
Doch lange dachte er nicht darüber
nach, sondern gab einfach wieder Gas.
»Was machen wir denn heute noch?«
Die drei Freunde waren wieder im
Hotel zurück. Viel hatten sie nicht miteinander gesprochen. Jeder hatte seinen Gedanken
nachgehangen und auch jetzt wusste keiner so recht eine Antwort.
»Um drei sollen wir zum Kaffee bei
Marlenes Eltern sein«, erinnerte Tom die Freunde an die Verabredung. Vorher mussten
er und Marlene noch die Geschenke zusammenpacken, die immer noch auf einem kleinen
Tisch in dem Saal im Hotel gestapelt standen.
»Na, dann bleibt uns sowieso kaum
Zeit«, erkannte Haie und schlug vor, sich noch ein wenig auszuruhen, ehe es in gut
anderthalb Stunden weiter zu Marlenes Eltern ging.
»Treffen wir uns also wieder hier«,
stimmte Tom zu.
Haie wollte sich jedoch nicht ausruhen.
Er ging zwar auf sein Zimmer, dort griff er allerdings zum Telefonhörer und wählte
die Nummer seines Nachbarn.
»Nein, diese Nacht war alles ruhig.
Kein neuer Brand«, antwortete dieser auf seine Frage. »Aber stell dir vor, gestern
bei Max in der Kneipe ist Jan Schmidt total ausgerastet. Hatte zu viel getrunken.«
Wie immer
hätten die Männer am Freitagabend in der Gastwirtschaft zusammen gesessen und geklönt.
Sie hatten sich gewundert, als Jan Schmidt dazu gekommen war, denn für gewöhnlich
ließ der sich dort nicht blicken. An den Gesprächen war er auch nicht interessiert
gewesen, sondern er hatte lediglich am Tresen gesessen und ein Bier nach dem anderen
getrunken. »Wir haben uns gleich gedacht, dass mit dem was nicht stimmt«, erklärte
Haies Nachbar. »Siegbert hat den Jan dann angesprochen.«
»Und?«
Haie fand die Ausführungen seines
Nachbarn hochinteressant. Jan Schmidt war für ihn immer noch verdächtig. Ebenso
wie Holger Leuthäuser und Erk Martensen.
»Der is sofort explodiert!«
Jan Schmidt sei von dem Barhocker
aufgesprungen und habe den anderen angeschnauzt. Das hatte sich der natürlich nicht
gefallen lassen und gleich noch etwas tiefer gebohrt.
»Da ist der dem Siegbert doch an
die Gurgel«, berichtete der andere aufgeregt. Nur mit vereinten Kräften hätten sie
die beiden auseinander bekommen. Max hatte ihn natürlich gleich rausgeschmissen.
Wenn der man nichts zu verbergen hatte. Sonst ging man doch nicht gleich so auf
die Palme, oder?
Selbst am Ortsschild Niebülls drosselte Thamsen nicht die Geschwindigkeit,
sondern fuhr mit ungebremstem Tempo weiter die B5 entlang bis zum Kreisel und bog
dann in die Gather Landstraße ein, an der das Krankenhaus lag. Er parkte seinen
Wagen und rannte die kleine Treppe zum Vorplatz hinauf.
Heute am Samstag herrschte reichlich
Betrieb. Zahlreiche Taxis fuhren am Eingang vor – anscheinend waren etliche Patienten
zum Wochenende hin noch entlassen worden. Er drängte sich durch die Menschen am
Eingang zu den Fahrstühlen.
Als
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