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Nordfeuer - Kriminalroman

Nordfeuer - Kriminalroman

Titel: Nordfeuer - Kriminalroman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gmeiner-Verlag
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die Aufzugtüren sich schlossen,
kam er zum ersten Mal seit dem Anruf seiner Mutter zu Bewusstsein. Sein Herz raste
plötzlich, er schwitzte. Doch ehe er einen klaren Gedanken fassen konnte, hatte
er den dritten Stock erreicht und musste aussteigen. Eine seltsame Stille empfing
ihn im Flur. Normalerweise waren hier immer Geräusche zu hören, Schritte im Treppenhaus
oder Stimmen aus den Stationen, die durch die Türen in den Flur drangen. Er fröstelte.
    Als er die Glastür zur Station öffnete,
kam ihm eine Schwester entgegen. Dirk Thamsen kannte sie von seinen letzten Besuchen.
    »Sagen Sie, wo ist meine Mutter?«
    Er konnte den Ausdruck in den Augen
der Frau nicht deuten. Als sei es das Selbstverständlichste von der Welt, antwortete
sie: »Bei Ihrem Vater.«
    Wo sonst hätte sie sein sollen.
Er bedankte sich und ging den Gang entlang, bis zu der Tür, hinter der das Zimmer
seines Vaters lag. Er wunderte sich, wo die Schutzkleidung für Besucher geblieben
war und klopfte verwundert an die Tür.
    »Herein«, hörte er die Stimme seiner
Mutter. Leise. Sehr leise. Er öffnete die Tür und erschrak. Es war still. Totenstill.
Wo war das Piepsen der Geräte, die den Herzschlag seines Vaters überwachten? Wo
das kontinuierliche Rauschen der Beatmungsmaschine?
    Auf Zehenspitzen schlich er in den
Raum.
    Seine Mutter
saß auf einem Stuhl neben dem Bett seines Vaters. Sämtliche Apparate und Geräte
waren verschwunden – daher die Stille, die er nun durch das Klicken seiner Schuhe
auf dem Linoleumfußboden durchbrach.
    Hans Thamsen
lag nach wie vor in dem Krankenbett. Blass. Die Lippen blutleer. Er hob sich kaum
vom weißen Bettbezug ab. Seine Augen waren geschlossen, die Hände über der Kante
der Bettdecke gefaltet.
    Er hatte während
seiner Laufbahn als Polizist schon häufig Leichen zu Gesicht bekommen, doch als
er nun seinen toten Vater vor sich liegen sah, traf es ihn wie ein Blitz. Schlagartig
wurde ihm bewusst, was er alles versäumt hatte und nicht mehr nachholen konnte.
Da sein Vater nie mehr die Lider öffnen und ihn anblicken würde.
    »Dirk?« Seine Mutter war aufgestanden
und kam auf ihn zu. Aber irgendwie registrierte er das gar nicht. Er starrte auf
den leblosen Körper seines Vaters. Soviel ging ihm durch den Kopf. Alles gleichzeitig
und total durcheinander. Er zuckte zusammen, als sie seinen Arm berührte. Mechanisch
drehte er seinen Kopf zu ihr. Eigentlich sollte er jetzt der Starke sein, sie in
den Arm nehmen und trösten. Aber er konnte nicht. Er konnte sich nicht rühren, sein
Körper gehorchte ihm nicht.  
    »Ich lasse euch einen Augenblick
alleine«, flüsterte Magda Thamsen und verließ das Zimmer. Dirk Thamsen stand immer
noch wie angewurzelt auf halbem Weg zum Bett. Er musste sich zwingen, einen Fuß
vor den anderen zu setzen und sich langsam dem Bett zu nähern.
    Wenige Zentimeter davor blieb er
stehen. Er konnte einfach nicht wie seine Mutter die Hand seines Vaters nehmen,
wollte ihn nicht anfassen, nicht den kalten, leblosen Körper spüren. Thamsen versuchte,
in sich hineinzuhorchen. Aber da war nichts. Nur eine Leere, die ihn vollkommen
ausfüllte und wie in Trance auf seinen toten Vater hinabstarren ließ. Wenn er doch
nur etwas empfinden könnte, dachte er. Trauer, Wut, was auch immer. Doch das einzige
Gefühl, das sich in ihm regte, war die Sorge um seine Mutter.

23.
     
    Als er am Morgen aufwachte, fühlte er sich krank. Sein gesamter Körper
schmerzte, als ob er einen Marathon gelaufen wäre. Sein Kopf dröhnte.
    Er war froh, gestern noch Iris angerufen
und gebeten zu haben, die Kinder einen Tag länger bei ihr lassen zu dürfen.
    »Mein Vater ist gestorben.«
    Sie hatte sehr verständnisvoll reagiert
und erklärt, es sei gar kein Problem, wenn Anne und Timo noch bei ihr blieben.
    Er hatte seine Mutter vom Krankenhaus
nach Hause gebracht und wollte ihr eigentlich Gesellschaft leisten. Da die Kinder
bei Iris waren, konnte er notfalls auch über Nacht bleiben. Doch sie hatte allein
sein wollen. »Sei mir nicht böse«, hatte sie zu ihm gesagt und ihm zärtlich über
die Wange gestrichen.
    Er war im Wagen sitzen geblieben
und hatte ihr nachgeschaut, wie sie mit der Reisetasche, in die man die Sachen seines
Vaters gepackt hatte, den schmalen Weg zum Haus hinauf gegangen war. An der Tür
hatte sie sich kurz umgedreht und ihm zugewunken. Dann war sie im Haus verschwunden.
    Eine Weile hatte er noch zum Eingang
geblickt, kurz darauf aber den Motor gestartet und Gas gegeben. Er wusste nicht
so

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