Nordfeuer - Kriminalroman
recht etwas mit sich anzufangen, war einfach drauflos gefahren. Bis er am Ortsschild
von Dagebüll vorbei fuhr.
Schon oft hatte es ihn, wenn er
Sorgen oder Kummer hatte, ans Meer gezogen. Er konnte nicht erklären warum. Aber
das Rauschen der Nordsee wirkte beruhigend auf ihn.
Heute hatte er allerdings kein Glück,
denn es herrschte Ebbe, vom Meer war also so gut wie nichts zu sehen. Trotzdem ging
er ein Stück den Deich entlang und ließ dabei seinen Blick über die Weite des Wattenmeeres
wandern. Die Sicht war klar und er konnte Föhr und einige Halligen erkennen.
Wie oft war seine Mutter mit ihm
als Kind in den Sommermonaten hier gewesen? Immer ohne seinen Vater. Wenn es ein
Fest in der Schule gab, eine Aufführung oder sogar sein Abschlussball – niemals
hatte sein Vater ihn begleitet. Nicht mal, als er als Polizist verbeamtet wurde,
war Hans Thamsen zur Feier erschienen. Dirk fragte sich, ob er seinen Vater überhaupt
vermissen würde. Er konnte ja nicht mal eine Träne über seinen Tod vergießen. Es
ging einfach nicht. Das einzige, was er spürte, war die Enttäuschung darüber, nun
nicht mehr herauszufinden zu können, warum sein Vater immer derart abweisend zu
ihm gewesen war. Warum er niemals auch nur ein einziges liebevolles Wort für ihn
übrig hatte, ihn mal geherzt oder Dinge, die Väter und Söhne nun einmal miteinander
machen, unternommen hatte. Dieses Geheimnis würde Hans Thamsen mit ins Grab nehmen,
und allein darüber ärgerte sich Dirk Thamsen schon wieder und empfand statt Trauer
über den Tod seines Vaters nur Wut über dessen Sturheit.
Er war mit strammen Schritten zum
Auto zurückgewandert und nach Uhlebüll gefahren. Der Wirt der Taverne hatte sofort
bemerkt, dass etwas mit ihm nicht stimmte. Er kannte ihn. Ohne einen Kommentar hatte
er ihm erst einmal einen Ouzo eingegossen, den Thamsen in einem Schluck hinuntergestürzt
hatte.
Nach dem zweiten Glas hatten sein
Ärger und seine Anspannung sich langsam gelöst und nach dem fünften Glas auch seine
Zunge. »Ist typisch für meinen Vater. Macht sich einfach aus dem Staub und lässt
mich und meine Mutter wieder mit der ganzen Scheiße sitzen.«
Er schwang die Beine aus dem Bett
und stöhnte noch einmal laut, ehe er sich erhob und ins Bad schlich.
Die Dusche brachte wenig Besserung.
Er fühlte sich auch danach immer noch wie durch den Fleischwolf gedreht, und das
kam nicht allein vom Alkohol.
Das Telefon klingelte. Es war seine
Mutter.
»Der Bestatter kommt um elf. Kannst
du dabei sein?«
Er zog sich eine dunkle Stoffhose
und ein schwarzes Hemd an und machte sich auf den Weg. Bei seinen Ermittlungen hatte
er sich manchmal gefragt, wie die Leute nach dem Tod eines Familienangehörigen einfach
so weitermachen konnten. Sich um die anstehenden Dinge kümmern, die Beerdigung organisieren.
Aber jetzt verstand er. Man war geradezu froh, wenn man sich um irgendetwas kümmern
konnte, nur um über den Verlust nicht nachdenken zu müssen, sich nicht bewusst zu
werden, was der Tod eigentlich bedeutete.
»Dirk geht nicht ans Telefon.«
Die drei Freunde standen abfahrbereit
in der Eingangshalle des Hotels. Seit Dirk Thamsens überraschendem Aufbruch machten
sie sich Sorgen und hatten mehrere Male versucht, ihn telefonisch zu erreichen.
Bisher ohne Erfolg.
Toms Wagen wurde vorgefahren und
sie verabschiedeten sich von dem Rezeptionisten.
»Heute geht
es über die A23 bestimmt ohne Stau«, bemerkte Tom. Obwohl der Weg über die A7 meist
schneller war, fuhr er persönlich lieber über die A23 bis Heide und den Rest über
Land. Da sah man wenigstens auch mal was von der Gegend. Die beiden Freunde stimmten
zu. Sie hatten es nicht eilig, obwohl die Sorge um den Kommissar sie irgendwie unruhig
stimmte.
Sie kamen zügig voran. An einem
Sonntag hielt sich der Verkehr in Hamburg in Grenzen, obwohl eine Menge Leute bei
dem schönen Wetter unterwegs waren. Dennoch bot der Verkehrsfluss auf den Straßen
keinen Vergleich zu dem an einem normalen Wochentag, an dem sich insbesondere zu
den Hauptverkehrszeiten lange Blechlawinen durch die Hauptstraßen der Stadt wälzten.
Schon bald
hatten sie das Kreuz HH-Nordwest erreicht und Tom bog wie angekündigt auf die A23
ab.
»Wenn da man heute Nacht nicht doch
irgendetwas wegen dem Brandstifter los war«, Haie war mit seinen Gedanken bereits
wieder in Nordfriesland und suchte nach einer Erklärung, warum Dirk Thamsen nicht
erreichbar war. »Außerdem weiß er ja auch noch gar nichts von Jans Ausraster«,
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