Nordfeuer - Kriminalroman
wusste so recht mit der Situation umzugehen. Daher schwiegen sie während
der Fahrt nach Dagebüll, die zum Glück nicht lange dauerte.
Trotz des beinahe sommerlichen Wetters
war es am Badedeich relativ leer. Die Ferien hatten noch nicht begonnen, außerdem
war Ebbe, da trieb es ohnehin meist weniger Leute an die See. Während seine Mutter
es sich in einem Strandkorb gemütlich machte, cremte er die Kinder mit Sonnenmilch
ein.
»Aber ihr geht nicht so weit hinein.
Ich will euch sehen können«, ermahnte er Timo und Anne, als die mit Schaufel, Eimer
und Kescher bewaffnet Richtung Watt abzogen.
»Wie groß sie schon geworden sind«,
bemerkte seine Mutter, als sie den beiden hinterher blickten.
»Hm.« Er wusste nicht genau, was
der Nachmittag für ihn bereithielt. Schließlich hatte sie um ein Treffen gebeten.
Er wartete, dass sie einen Anfang machte. Doch Magda Thamsen war immer noch vom
Anblick ihrer Enkel gefangen.
»Ach, was würde sich Vati freuen,
wenn er die beiden doch so sehen könnte«, seufzte sie. Thamsen bezweifelte das.
Er bezweifelte es sogar sehr. Hans Thamsen hatte für seine Enkel noch nie viel übrig
gehabt. Doch er schwieg, da er glaubte, es ginge letztendlich gar nicht um seinen
Vater oder die Kinder, sondern um die Erinnerung und das Bild, das Magda Thamsen
von ihrem Mann bewahren wollte.
»Weißt du, Dirk«, sie rückte in
dem Strandkorb ein Stück von ihm ab und schaute ihn traurig an. »Ich wollte mit
dir eigentlich schon früher darüber sprechen. Eigentlich gleich, als Hans …«, sie
schluckte. Sofort meldete sich sein schlechtes Gewissen. Schließlich war er es,
der die Verabredung bisher nicht eingehalten hatte. Und so wie es klang, war es
ihr anscheinend doch wichtig gewesen, es vor dem Tod seines Vaters zu klären.
»Du hast mich oft gefragt, warum
dein Vater so abweisend zu dir ist«, sie räusperte sich, »war. Ich bin dir immer
ausgewichen, habe das heruntergespielt. Aber du hattest natürlich recht. Es gab
einen Grund, warum Hans dir gegenüber immer so distanziert war.« Sie kramte in ihrer
Hosentasche nach einem Papiertaschentuch und wischte sich damit ihre Tränen aus
den Augenwinkeln.
Thamsen hielt die Luft an. Er wusste,
seine Mutter würde nun die Frage, die ihn sein ganzes Leben lang beschäftigt hatte,
endlich beantworten. Er spürte sein Herz bis zum Hals schlagen und klebte förmlich
an ihren Lippen. Auf keinen Fall wollte er auch nur eines ihrer Worte verpassen.
Jetzt würde er erfahren, warum sein Vater ihn immer wie einen Störenfried behandelt
hatte, wie etwas Lästiges, das man nicht liebte sondern lediglich duldete, warum
auch immer. Wahrscheinlich, weil man es nicht verstoßen konnte, was würden sonst
die Leute denken. Ja, so oberflächlich war sein Vater gewesen. Und so war er auch
mit ihm umgegangen. Nie hatte er sich wirklich für seinen Sohn interessiert, für
das was er tat, wer er überhaupt war. Aber den Grund dafür kannte er nicht. Seine
Mutter hatte immer gesagt, es gäbe keinen, sein Vater meine es nicht so, eigentlich
liebe er ihn und die Enkel, könne es nur nicht so zeigen. Thamsen hatte das nicht
glauben können. Nun wusste er, seine Mutter hatte gelogen.
»Es ist nämlich so, ähm«, Magda
Thamsen suchte nach den rechten Worten, »also …«
Plötzlich fiel ein Schatten auf
sie.
»Ist das hier Ihr Sohn?«
»Was schleichst du hier rum?«
Haie stand vor Jan Schmidt, die
Hände in die Hüften gestemmt. Der war kreidebleich im Gesicht und starrte den Hausmeister
sprachlos an.
»Du hast doch
bestimmt was mit der Sache zu tun, hm«, mutmaßte Haie nun, da sein Gegenüber sich
nicht äußerte. »Der Täter kehrt immer zum Tatort zurück.«
»Nein, so ist es nicht«, brach es
plötzlich aus dem Tischlergesellen hervor.
»Sondern?« Haie traute dem jungen
Mann nicht. Der kam doch nicht hierher, wenn er mit dem Mord nichts zu tun hatte.
Er kniff die Augen zusammen und beobachtete jede Reaktion von Jan Schmidt.
Der blickte zu Boden und knetete
seine Hände ineinander.
»Ich wollte sehen, wo sie gestorben
ist.«
»Du meinst, wo sie ermordet worden
ist«, korrigierte Haie ihn.
Der Kopf des anderen schnellte in
die Höhe.
»Aber damit habe ich doch nichts
zu tun! Das war doch Heiko!«
»Und der hat dann anschließend sein
eigenes Haus angezündet und sich selbst niedergeschlagen?«
»Warum denn nicht?«
Ja, warum eigentlich
nicht? Bisher waren sie davon ausgegangen, Heiko Stein sei Opfer des Nebenbuhlers,
womöglich sogar des Mörders
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