Nordmord
diesen Malte nett finden? Oder gar mehr? Eigentlich war er sich doch
sicher, dass sie ihn liebte. Noch nie hatte er daran gedacht, dass sie an
anderen Männern interessiert sein könnte. Eifersucht, das Gefühl hatte er
bisher nicht gekannt. Er war nicht wie seine Exfreundin Monika, die hinter
jedem Gespräch, welches er mit einer Frau geführt hatte, und sei es ihre beste
Freundin gewesen, eine Affäre vermutet hatte. Gut, letztendlich hatte er sie
betrogen, aber war sie mit ihrer ständigen Eifersucht nicht auch ein klein
wenig schuld daran gewesen? Hatte sie ihn nicht sogar mit ihrer misstrauischen
Art geradezu in die Arme der anderen getrieben? Vielleicht eine bequeme
Erklärung seines Fremdgehens, aber so wie Monika wollte er auf gar keinen Fall
enden.
Er stieß Haie in die Seite.
»Quatsch, ich bin eben nur besorgt!«
9
Professor Voronin lehnte sich in seinem
Ledersessel zurück, fuhr sich mit den Händen durch sein schütteres, graues
Haar. Er war müde. Der Aktenberg auf seinem Schreibtisch wurde immer höher und
gerade jetzt war seine Mitarbeiterin in der Versenkung verschwunden.
Er stand auf und beschloss, einen Gang durch die Station zu
machen. Es war Mittagszeit, da würde seine Anwesenheit in der Hektik der
Essensausgabe kaum auffallen.
Über den mit Linoleum belegten Flur schlenderte er den Gang
hinunter bis zu den Räumen des Dialysezentrums. Neun Plätze hatte das
Krankenhaus. An einem lag ein kleines Mädchen. Der Schlauch, der zur
künstlichen Niere führte, war dunkelrot und bildete einen extremen Gegensatz zu
der weißen Bettwäsche, auf der er sich teilweise entlang schlängelte. Die Augen
des Mädchens waren geschlossen. Professor Voronin vermutete, dass es schlief.
Als er sich jedoch umdrehte, hörte er plötzlich ein dünnes Stimmchen.
»Onkel Doktor?«
Langsam drehte er sich um, versuchte, zu lächeln.
»Ja?«
»Muss ich sterben?«
Die Augen des Mädchens blickten ihn ängstlich an. Er hatte
gerade erst die neuesten Ergebnisse der kleinen Patientin studiert. Die Niere arbeitete
fast gar nicht mehr, die Werte waren bedrohlich. Die Dialyse brachte immer nur
für kurze Zeit eine Besserung. Wenn sich nicht bald eine Spenderniere fand,
standen ihre Chancen schlecht. Doch die Wartezeiten auf ein Spenderorgan lagen
zwischen sechs und acht Jahren. So viel Zeit blieb ihr wohl kaum.
Er nahm ihre Hand in seine. Sie fühlte sich kalt und leblos
an.
»Bestimmt bist du bald wieder ganz gesund.«
Als er zurück in sein Büro kam, klingelte das Telefon. Es war
ein Kollege aus Husum.
»Gut, dass du anrufst, Werner. Ich habe hier eine kleine
Kandidatin.«
Anne saß auf der Rücksitzbank des alten Golfs
und sang ein plattdeutsches Lied.
»Dat du mien Leewsten büst, dat du woll weest!«
Dirk Thamsen ließ sich nicht beeindrucken.
»Sag mal, Anne, was war denn heute los in der Schule?«
Der Gesang verstummte abrupt.
»Wieso?«
Er erzählte ihr, was die Schulleiterin gesagt hatte. Die
Verdächtigungen gegen Annes Mutter, seine Exfrau, ließ er weg. Damit hatte sie
nichts zu tun.
Anne verteidigte sich, sagte, dass Mira, so hieß wohl die
geschlagene Mitschülerin, schließlich angefangen habe.
»Mama sei eine Schlampe und so, hat sie gesagt.«
Im Rückspiegel sah er, wie seine Tochter beschämt nach unten
schaute. Es tat ihm weh, sie so zu sehen. Er fühlte sich mitschuldig an ihrem
Kummer. Obwohl es ja seine Frau gewesen war, die gegangen war. Einfach so, nach
15 Jahren Ehe. Er hätte nicht im Traum daran gedacht, sie zu verlassen.
Schließlich hatte er sie geliebt. Aber sie hatte behauptet, ihn nicht mehr
ertragen zu können.
»Du ekelst mich an!«
Genau das hatte sie zu
ihm gesagt. Diese Worte hatte sie gebraucht, um ihm mitzuteilen, dass es aus
war zwischen ihnen. Es hatte ihn hart getroffen. Wochenlang hatte er sich nach
Dienstschluss bis zur Besinnungslosigkeit betrunken. Seine Kollegen hatten sich
Sorgen gemacht.
Bis er herausgefunden hatte, dass sie ihn schon während ihrer
Ehe betrogen hatte, und nicht nur einmal. Von dem Zeitpunkt an hatte er nur
noch Hass verspürt. Hass und abgrundtiefen Ekel. Nun war er es gewesen, der sagte:
»Du ekelst mich an!«
Er parkte vor dem Polizeirevier.
»Du wartest hier. Ich bin gleich wieder da.«
Als er die Dienststelle betrat, kam ihm jedoch der Kollege
von der Schutzpolizei aufgeregt entgegen.
»Gut, dass du kommst! Wir haben einen Leichenfund in der
Lecker Au.«
Marlene hatte auf
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