Nordmord
besucht hatte sie die Kneipe neben dem Rathaus in Bredstedt noch nie.
Sie betrat den Gastraum und blickte sich suchend um. Die
Kneipe hatte gerade erst geöffnet, sie war der erste Gast. Hinter dem Tresen
stand eine ältere Frau und lächelte sie freundlich an.
Sie zögerte einen kurzen Augenblick, wählte dann aber einen
Tisch in der Nähe der Eingangstür. Die Frau vom Tresen trat zu ihr.
»Einen Tee bitte.«
Polizeihauptkommissar Thamsen legte langsam den
Hörer auf das Telefon vor ihm auf dem Schreibtisch. Er hatte bereits seine
Kollegen in Husum und Flensburg angerufen, aber Unfälle oder sonstige
Vorkommnisse, an denen eine junge Frau beteiligt gewesen war, hatte es seit Montag
nicht gegeben.
Er trank einen Schluck Kaffee und blickte zum Fenster hinaus.
Warum war Heike Andresen am Dienstag nicht wie verabredet zu ihm gekommen? Was
hatte sie mit ihm besprechen wollen? Sie hatte sehr aufgeregt geklungen. Dass
sie es sich vielleicht anders überlegt oder die Sache sich erledigt hatte, das
kam ja schon mal vor. Davon war er eigentlich ausgegangen. Dass sie nun aber
verschwunden war und sich weder bei ihrer Arbeitsstelle noch bei ihren Freunden
meldete, war merkwürdig und ließ ihm keine Ruhe. Wo war die junge Frau
abgeblieben?
Das Telefon klingelte. Es
war die Schule seiner Tochter. Ob er Anne abholen könne? Er wunderte sich. Seit
er und seine Frau getrennt lebten, verbrachten die Kinder, sofern es sein
Dienst zuließ, zwar jedes zweite Wochenende bei ihm, aber dieses Wochenende war
ein Besuch der Kinder eigentlich nicht geplant gewesen.
Er griff nach seiner Jacke und verließ das Büro. Im Flur traf
er seinen Kollegen von der Schutzpolizei.
»Na, Dirk, schon Wochenende? Nix los, was?«
»Nee, muss nur schnell meine Lütte von der Schule abholen.
Ich komm nachher noch mal rein.«
Anne saß bei der Direktorin im Büro. Als Dirk Thamsen den
Raum betrat, stürmte seine Tochter auf ihn zu. Er nahm sie auf den Arm, blickte
verwundert zur Schulleiterin.
»Ich müsste mal mit Ihnen sprechen, Herr Thamsen. Anne,
wartest du kurz draußen?«
Das kleine Mädchen blickte ängstlich seinen Vater an.
»Geh nur, ich komme gleich zu dir.«
Die Direktorin bat ihn, Platz zu nehmen, und kam direkt zur
Sache. Seine Frau vernachlässige die Kinder. Anne und Timo würden sowieso schon
sehr unter der Trennung leiden, aber seit seine Frau einen neuen
Lebensgefährten habe, würden die Kinder teilweise ungewaschen und ohne
Frühstück zum Unterricht erscheinen. Ob ihm denn nichts aufgefallen sei?
Er schüttelte den Kopf. Letzte Woche war doch alles in
Ordnung gewesen. Gut, er hatte sich über die kaputte Hose von Timo und die viel
zu kleinen Schuhe von Anne geärgert. Schließlich zahlte er genug Unterhalt, da
konnte er ja wohl erwarten, dass die Kinder anständig gekleidet waren. Aber
sonst hatte er nichts bemerkt. Und die Kinder hatten auch nichts erzählt. Sie
waren in letzter Zeit zwar stiller und zurückhaltender, aber das hatte er der
Trennung zugeschrieben. Dass etwas bei Anne und Timo nicht in Ordnung und seine
Exfrau nur mit sich und ihrem neuen Lover beschäftigt war, davon hatte er
wirklich keine Ahnung gehabt.
»Ich werde mit ihr sprechen.«
Die Schulleiterin nickte. »Und bitte reden Sie auch mit Anne.
Sie hat heute zum zweiten Mal auf eine Mitschülerin eingeschlagen.«
Nervös blickte Marlene auf ihre Armbanduhr. Es
war bereits Viertel nach 12 und von diesem Malte war nichts zu sehen.
Außer ihr saßen inzwischen zwei ältere Herren in dem
Gastraum. Sie tranken Bier und diskutierten lautstark über den Bürgermeister
der Kleinstadt.
Sie nippte an ihrem Tee
und blickte sich um. Warum Malte für ihr Treffen wohl diese Kneipe ausgesucht
hatte? Der eigentliche Reiz des ›Krogs‹ lag vor allen in den Auftritten des
Inhabers Fiede Kay. Oft trat er um die Kaffeezeit oder in den Abendstunden auf
und gab seine plattdeutschen Lieder und ›Döntjes‹ zum Besten. Man nannte ihn
den ›Volkssänger aus dem Norden‹, der nicht nur gut sang, sondern auch noch
hervorragendes Bier zapfte. Marlene hatte in der Zeitung einen Bericht darüber
gelesen. Um diese Zeit war es allerdings relativ ruhig in der Kneipe.
Ihre Gedanken wanderten
zu der Freundin. Wo sie nur steckte? Das letzte Mal, dass sie sich getroffen
hatten, war zwei Wochen her. Tom hatte arbeiten müssen und so war sie kurz
entschlossen mit Heike nach Tondern gefahren. Sie waren durch das kleine
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