Nordmord
der Rückfahrt das Gespräch mit
Malte Nielsen Revue passieren lassen.
Er hatte gelogen, zumindest was den Streit betraf. Aber er
hatte überhaupt nicht nervös auf sie gewirkt. Wie konnte man nur so abgebrüht
sein?
Sie hielt am SPAR-Laden, um noch ein paar Besorgungen zu
erledigen. Die Dame an der Kasse blickte sie mürrisch an. Zugezogene waren hier
nicht gern gesehen. Und sie war nun mal eine.
Schnell packte sie Milch, Käse, Bananen und Toilettenpapier
in ihren Korb. Vor der Fleischtheke traf sie Elke. Überschwänglich begrüßte sie
Marlene. Seit Haie sich von ihr getrennt hatte, quetschte sie jeden im Dorf,
der mit ihrem Exmann etwas zu tun hatte, geradezu nach Neuigkeiten aus. Es war
nur zu offensichtlich, dass sie ihn am liebsten wieder zurück hätte.
»Schön, dich zu treffen! Wie geht es euch?«
Marlene berichtete kurz von ihrer Arbeit im Institut und dass
Tom schon erste Aufträge hatte. Als Elke jedoch das Gespräch auf Haie lenken
wollte, unterbrach sie es schnell. Haie war ein Freund. Er wollte nicht zu Elke
zurück und das akzeptierte sie im Gegensatz zu seiner Exfrau.
»Ich muss dann mal schnell weiter. Tom wartet.«
Sie zahlte eilig und verließ den Laden.
Tom wartete wirklich und zwar sehnsüchtig. Obwohl er Haies
Äußerung bezüglich seiner Eifersucht scherzhaft abgetan hatte, der Gedanke an
Marlene und einen anderen Mann hatte ihm keine Ruhe gelassen. Er war froh, als
er sie die Haustür öffnen hörte, und stürmte zur Begrüßung in den Flur.
»Na endlich. Das hat ja ewig gedauert. Und, was hat er
gesagt?«
Sie drückte ihm die Tasche mit den Einkäufen in die Hand.
»Nichts.«
Er blickte sie fragend an.
»Und nichts hat so lange gedauert?«
Sie berichtete ihm, dass Malte Nielsen zunächst schon mal zu
spät zu der Verabredung erschienen war. Und dann, dass er gelogen hatte. Mitten
in ihren Ausführungen piepste ihr Handy. Sie kramte es aus ihrer Handtasche
hervor.
Ungläubig starrte sie auf die Nachricht.
»Was ist?«
»Von Heike. Es geht ihr gut. Ich soll mir keine Sorgen
machen. Sie ruft an, sobald es geht.«
Tom lächelte sie an.
»Das sind doch tolle Neuigkeiten!«
»Ja, schon, aber das ist so merkwürdig. Wieso ruft sie nicht
an?«
»Vielleicht kann sie nicht. Sie wird sich schon melden. Jetzt
hör mal auf, dir Gedanken zu machen!«
Er nahm sie in die Arme, küsste ihre Stirn. Marlene grübelte
jedoch weiter. Es war ungewöhnlich für ihre Freundin. Normalerweise schrieb
Heike keine SMS. Sie hasste das Tippen auf der Tastatur des Handys.
Tom versuchte, sie aus ihren Gedanken zu reißen.
»Ich sage nur kurz dem Kommissar Bescheid und dann
unternehmen wir etwas Schönes. Überleg schon mal, worauf du Lust hast. Wir
müssen schließlich auch noch meinen neuen Job bei ›Motorola‹ feiern!«
Er wählte die Nummer des Hauptkommissars, doch an dessen
Stelle meldete sich ein Kollege.
»Tut mir leid, aber Herr Thamsen ist zu einem Einsatz
gefahren.«
10
Irina hatte Angst. Es war dunkel, sie konnte
nichts sehen. Ihre Augen waren verbunden. Sie hörte Motorengeräusch und die
Stimmen zweier Männer.
Vorsichtig versuchte sie, sich zu bewegen, aber ihr ganzer
Körper schmerzte. Sie stöhnte leise. Die Männer verstummten.
Kurze Zeit später hielt der Wagen. Die beiden vorderen Türen
wurden geöffnet und wieder geschlossen. Es regnete. Weil der Motor nun aus war,
hörte sie das Trommeln der Tropfen über sich. Sonst war es ganz still.
Sie versuchte noch einmal, sich zu bewegen. Mit dem Fuß stieß
sie an etwas Hartes. Sie drehte sich leicht zur Seite. Der Geruch von Urin
stieg ihr in die Nase. Ihr Magen rebellierte. Sie erbrach sich.
Eine Tür wurde aufgerissen. Sie hörte wütende Stimmen und
spürte, wie jemand sie packte und aus dem Wagen zerrte. Panik stieg in ihr auf.
Sie schlug wild um sich, drehte sich und trat mit den Beinen.
Der Schlag ins Gesicht traf sie völlig unerwartet. Sie wollte
schreien, brachte aber keinen Ton heraus. Dann spürte sie wieder einen Stich.
Der Regen prasselte in ihr Gesicht und kitzelte ihre Nase.
Das war das Letzte, was sie wahrnahm, bevor sie wieder in einen tiefen, dunklen
Schlaf fiel.
Tom hatte
Marlene überreden können, ein paar Sachen zu packen und übers Wochenende nach
Amrum zu reisen.
Mit dem Auto waren sie nach Dagebüll gefahren. Während
Marlene Fahrkarten am Schalter der ›Wyker Dampfschiffs-Reederei‹ auf der Mole
besorgte, parkte Tom den Wagen.
Die Fähre
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