Nordmord
da war. Wer weiß, was
wir in Heikes Wagen gefunden hätten? Warum musstest du denn auch dem Kommissar
bloß davon erzählen?«
Haie war sichtbar enttäuscht.
»Nu hör aber mal auf«, entgegnete Tom, während er den Wagen
auf die B 5 lenkte. »Wir sind schließlich nicht die Polizei. Immerhin geht es
hier um Mord.«
Er bereute es, dem Vorschlag des Freundes gefolgt zu sein,
und hoffte nur, dass Marlene noch tief und fest schlief und seine Abwesenheit
nicht bemerkt hatte. Nicht auszudenken, wenn sie aufgewacht und er nicht für
sie da gewesen war. Marlene brauchte ihn jetzt, nur das war momentan wichtig.
Er trat das Gaspedal bis zum Anschlag durch.
Kommissar Thamsen zögerte das Gespräch, welches
er mit seiner Exfrau führen musste, absichtlich lange hinaus.
Er hatte den Bericht der Spurensicherung gelesen, an einer
Lagebesprechung teilgenommen und dann beschlossen, noch einmal zur Lecker Au
rauszufahren.
Die bisherigen Untersuchungen hatten zwar ergeben, dass der
Fundort der Leiche mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht der Tatort war, aber
vielleicht hatten sie ja doch etwas übersehen.
Er parkte den Wagen an der Bushaltestelle und ging auf die
Brücke. Ans Geländer gelehnt, blickte er hinunter in das leicht gekräuselte,
dunkle Wasser der Au, das beharrlich Richtung Meer floss. Das Schilf raschelte
leicht vom Wind bewegt. Kaum vorstellbar, dass sich hier vor gar nicht langer
Zeit ein Mensch einer Leiche entledigt hatte. Warum hatte er ausgerechnet
diesen Ort gewählt? Er blickte sich um. Die Straße war verhältnismäßig gut
einsehbar. Das konnte ein Vor- und gleichzeitig ein Nachteil sein. Obwohl, hier
im Koog fuhren eigentlich sowieso sehr wenige Autos. Das war also
wahrscheinlich nicht das Hauptargument gewesen. Ein weiterer Nachteil war
natürlich der Hof, der sich ganz in der Nähe befand. Allerdings waren die hohen
Bäume rings um das Haus noch recht stark belaubt, sodass man wahrscheinlich
keine Einsicht von dort aus auf das Treiben hier auf der Straße hatte. Außerdem
würden die Besitzer wohl kaum die ganze Nacht am Fenster stehen und nach einem
Mörder Ausschau halten.
Den Hauptgrund für die Wahl dieses Ortes sah er in der
kleinen Zufahrt zur Au. Mit dem Auto konnte man beinahe bis ans Ufer
heranfahren. Und dass die Leiche von dort aus in den Fluss befördert worden
war, davon ging er aus. Die Spurensicherung hatte jede Menge Reifenspuren
gefunden. Und wenn er versuchte, sich in die Situation des Täters zu versetzen,
er hätte wohl den gleichen Weg gewählt. Hier hatte er unbemerkt die Leiche aus
dem Kofferraum heben, die kleine Anhebung hinauftragen und dann vorsichtig ins
Wasser rollen können.
Und dort hatte sie dieser Angler gefunden. Von ihrem Mörder
jedoch nicht wirklich eine Spur. Die Auswertung der Reifenspuren würde noch
dauern und selbst dann hatten sie noch keinen wirklichen Hinweis. Er ging
hinunter zum Gatter und öffnete es. Prinzipiell konnte hier jeder hereinfahren.
Die Metallpforte war nicht verschlossen.
Den Blick fest auf den Boden gerichtet, stieg er die Böschung
hinauf, welche die Au begrenzte. Die Spurensicherung hatte ganze Arbeit
geleistet. Nicht ein Schnipsel Papier, Müll oder eine Zigarettenkippe waren auf
dem Boden zu finden.
Er hörte ein Motorengeräusch, ein Auto näherte sich. Auf der
Brücke hielt es an, ein Mann und eine Frau stiegen aus. Er zeigte mit der
ausgestreckten Hand hinunter in den Fluss. Als sie ihn am Ufer stehen sahen,
stiegen sie schnell wieder in den dunkelblauen Kombi und fuhren weiter.
Schaulustige. Die Vorstellung, dass hier unten eine Leiche gelegen hatte, zog
sie magisch an. Wieder fragte er sich, was genau die Menschen an solch einen
Ort zog? War es der Hauch des Todes, der noch in der Luft hing?
Er drehte sich um und ging zurück zu seinem Wagen. Für ihn
war es einfach nur ein Ort, an dem ein grausames Verbrechen geschehen war. Ein
Verbrechen, das dringend nach Aufklärung verlangte.
Marlene hatte immer noch geschlafen, als sie
wieder heimgekommen waren. Sie hatten zusammen mit Elke einen Tee getrunken,
sich bei ihr bedankt und sie dann verabschiedet. Haie blieb zum Abendessen.
Da sie fast nichts im
Haus hatten und Tom auch keinen Hunger verspürte, schlug er lediglich ein paar
Spiegeleier in die Bratpfanne. Der Freund deckte den Tisch.
Sie sprachen eine Weile über Elke. Tom war der Meinung, sie
käme wohl langsam über die Trennung hinweg, aber Haie widersprach
Weitere Kostenlose Bücher