Nordmord
Vermutlich würde sie ihn eh nur mit Tom vergleichen und da kann
er nicht mithalten. Macht aber auch nichts. Will ja schließlich auch nur ein
wenig Spaß!
Nur ein wenig Spaß haben – daraus schien
ziemlich schnell Ernst geworden zu sein. Todernst. Thamsen kratzte sich am
Kopf. Ihm war dieser Malte gleich verdächtig vorgekommen. Der hatte doch was zu
verbergen. Hätte er doch nur eine dieser Zigarettenkippen mitgenommen. Ein
befreundeter Kollege im Labor war ihm noch einen Gefallen schuldig, denn ohne
richterlichen Beschluss würde er keinen DNA-Test durchführen lassen können. Und
wie sollte er den erwirken? Nur durch sein Bauchgefühl würde er den Richter nicht
überzeugen können. Bereits die Kollegen aus Flensburg hatten etwas irritiert
geschaut, als er nach Maltes Befragung geäußert hatte, dass man ihn eigentlich
überwachen lassen müsste, denn natürlich hatte er auch ihnen gegenüber sein
Bauchgefühl nicht begründen können. Sie waren sowieso nicht begeistert von
seinen Alleingängen, hatten aber selbst auch noch nicht wirklich etwas
herausgefunden.
Er stand auf und wählte die Nummer des Husumer Krankenhauses.
»Klinikum Nordfriesland. Sievers. Guten Abend.«
»Thamsen. Guten Abend. Könnten Sie mir bitte sagen, wann
Malte Nielsen wieder Dienst hat?«
»Morgen Mittag ab 12 Uhr.«
23
Es regnete schon, seitdem sie aufgestanden
waren. Tom lenkte den Wagen durch die Stadt, Marlene saß schweigend neben ihm.
Sie hatte sich ganz zurückgezogen. Eingeigelt in eine Welt, zu der er momentan
keinen Zugang hatte.
Er fand einen Parkplatz ganz in der Nähe der kleinen Kapelle
in der Lärchenallee und stellte den Motor ab. Marlene machte keine Anstalten,
auszusteigen. Wie versteinert saß sie auf dem Beifahrersitz und schaute mit
leerem Blick durch die Windschutzscheibe.
»Ich kann da nicht reingehen.«
Er nahm ihre Hand. Sie war eiskalt.
»Ich bin bei dir.«
Sie drehte sich leicht zur Seite, schaute ihm ins Gesicht.
Tränen standen in ihren Augen. Sie holte tief Luft, öffnete dann die Autotür.
In der Kapelle waren schon beinahe alle Plätze besetzt. Sie
nahmen in einer der mittleren Reihen Platz. Ganz vorn saß Heikes Mutter,
daneben die Schwester und deren Mann. Auch der Exfreund war gekommen. Er saß
etwas abseits. Sie erkannte ihn an seinen breiten Schultern und den
strohblonden Haaren. Ihr Blick wanderte zu dem dunklen Holzsarg, der im
vorderen Teil der Kapelle umgeben von einem Blumenmeer stand. Links und rechts
säumten riesige Kerzen den Holzkasten, in dem der Körper ihrer Freundin nun
lag. Der freikirchliche Pfarrer, mit dem sie kurz telefoniert hatte, trat neben
den Sarg und begann mit seiner Trauerrede. Heike war zwar bereits vor Jahren
aus der Kirche ausgetreten, aber Marlene hatte sich eine Beerdigung nicht ohne
einen Redner vorstellen können. Irgendjemand musste doch ein paar offizielle
Worte sprechen.
»Heike Andresen ist plötzlich aus dem Leben gerissen worden.
Wir alle sind gelähmt von dem Unfassbaren …«
Ihre Gedanken schweiften ab, sie hörte gar nicht mehr, was
der Pfarrer zu der Trauergemeinde sprach. Bald würde er sie auffordern, ein
paar persönliche Worte über Heike zu sagen. Sie wusste nicht, ob sie die Kraft
dazu finden würde, sich neben den Sarg zu stellen und über ihre beste Freundin
zu sprechen. Heikes Mutter würde sie erwartungsvoll anschauen – was, wenn sie
nicht die richtigen Worte fand?
Abrupt wurde sie aus ihrer Gedankenwelt gerissen. Tom zupfte
an ihrem Ärmel. Es war so weit. Aus ihrer Hosentasche holte sie den
zusammengefalteten Zettel. Langsam ging sie nach vorne.
»Liebe Familie, liebe Freunde. Ihr alle habt Heike gekannt
und lieb gehabt. Sie war eine Tochter, auf die man stolz sein konnte. Eine
Schwester, die immer da war. Eine eifrige Arbeitskollegin, eine gute Freundin. Für
mich war sie noch viel mehr. Wenn ich morgens aufgewacht bin, habe ich an sie
gedacht. Beim Mittagessen wanderten meine Gedanken zu ihr und wenn ich abends
ins Bett gegangen bin, galt mein letzter Gedanke stets ihr. Und das ist auch
jetzt so und wird wahrscheinlich immer so bleiben. Wir kannten uns sehr gut,
haben einiges miteinander erlebt, sodass uns etwas verband, das ich nicht
beschreiben kann. Manche nennen es Seelenverwandtschaft oder auch Telepathie.
Aber es war viel, viel mehr als das. Vielleicht erinnern sich einige von euch
an den Tag, als Heike sich spontan die langen Haare hatte abschneiden lassen.
Wir
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