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Nordmord

Titel: Nordmord Kostenlos Bücher Online Lesen
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distanziert.
Er fragte sich, warum man von ihrer Wärme und Herzlichkeit so wenig bei den
Eltern spürte? Wie hatte sich Marlene unter diesen Bedingungen so entwickeln
können? Sie war freundlich, mitfühlend und so menschlich. Nicht, dass er ihre
Eltern nicht mochte, aber sie waren so oberflächlich, kalt und leblos.
    Er legte sich neben sie
in das riesige Gästebett. Sie hatte sich bereits zur Seite gedreht, tat so, als
ob sie schliefe.
    »Deine Eltern sind nett.«
    Sie reagierte nicht. Er hörte nur, wie sie tief einatmete,
und fragte sich, warum sie so reagierte. Schämte sie sich etwa für ihre Eltern?
    »Ehrlich, ich finde, das war wirklich ein netter Abend!«
    Sie drehte sich ruckartig zu ihm um und setzte sich auf.
    »Nein, das war es nicht! Und du brauchst auch nicht mir
zuliebe so zu tun, als wenn es ein netter Abend gewesen wäre. Es ist, wie es
ist, und ich möchte nicht darüber sprechen!«
    Sie zog die Decke bis unters Kinn und knipste das Licht aus.
In der Dunkelheit hörte er sie angestrengt ein- und ausatmen. So kannte er sie
gar nicht. Das Zusammensein mit ihren Eltern hatte sie merkwürdig verändert. Er
fragte sich, woran es wohl lag, dass sie so heftig reagierte.
    Er schaltete das Licht wieder an und beugte sich über sie.
    »Was ist los?«
    Sie versuchte, sich aus seinem Arm zu winden. Doch er war
einfach stärker. Sie blickte ihm in die Augen. Tränen lösten sich auf einmal
aus den Augenwinkeln und sie begann, zu schluchzen. Er konnte nichts anderes
tun, als sie in den Arm zu nehmen und fest an sich zu drücken.
    »Pst«, flüsterte er, »ist ja gut.«
    Langsam beruhigte sie
sich. Er hatte vergessen, wie sehr Heikes Tod sie mitgenommen hatte. Und morgen
war schließlich die Beerdigung. Kein Wunder, dass sie so reagierte. Der Kopf
stand ihr wahrscheinlich momentan wirklich woanders. Vielleicht war das alles
doch ein bisschen zu viel. Er löschte das Licht, zog sie noch ein wenig fester
an sich heran und schloss die Augen. Es dauerte lange, bis er sie tief und
gleichmäßig atmen hörte.

     
    Dirk Thamsen hatte es sich auf seinem Sofa
bequem gemacht.
    Er hatte nach Feierabend bei seinen Eltern vorbeigeschaut. Es
war bereits spät und die Kinder waren deshalb schon im Bett gewesen. Nach einer
Gute-Nacht-Geschichte für Anne und ein paar Worten zu Timo war er heimgefahren.
    Er hatte das Tagebuch mit nach Hause genommen. Auch wenn es
laut seinen Kollegen keine Hinweise für den Fall enthielt, war es doch eine
Möglichkeit, das Opfer besser kennenzulernen. Und wenn er ehrlich zu sich
selbst war, trieb ihn vor allem Neugierde dazu, sich erneut in das Tagebuch der
Ermordeten zu vertiefen.

     
    18.01.1996

    Heute bin ich wirklich so richtig platt. Die Arbeit
schlaucht mich ganz schön, gestern war ich schon um 21   Uhr im Bett. Trotzdem muss ich
jetzt noch unbedingt ein paar Zeilen schreiben, denn ich habe einen Mann
kennengelernt. Obwohl, kennengelernt ist vielleicht zu viel gesagt, außerdem
war es während der Arbeit und eigentlich zählt das ja nicht so richtig. Aber er
hat mich gefragt, ob wir uns nicht mal treffen wollen. Auf ein Bier oder auch
einen Kaffee. Ich weiß noch nicht so genau. Habe mich schon lange nicht mehr
mit einem Mann getroffen und zudem ist er so etwas wie ein Kollege. Er ist
Krankenpfleger in der Klinik in Husum und heißt Malte. Er war am Morgen wohl
wegen eines Krankentransportes bei uns. Ich traf ihn im Schwesternzimmer.
Eigentlich ist er nicht wirklich mein Typ, aber auf ein Bier könnte ich mit ihm
ausgehen. Mal sehen, was sich so entwickelt. Man weiß ja nie!

     
    20.01.1996

    Habe mich gestern mit Malte getroffen. Wir waren in Husum
im Brauhaus. Das war ganz nett. Aber ich bin mir nicht sicher, was ich von ihm
halten soll. Eigentlich ist er ja ganz witzig. Kann halt super Storys von den
Leuten im Krankenhaus erzählen, ist echt lustig. Vor allem scheint er fast
jeden zu kennen. Arbeitet auch wohl schon ziemlich lange in der Klinik.
Angeblich will er aber demnächst dort aufhören. Hat angeblich einen besseren
Job in Aussicht. Jedenfalls hat er gesagt, dass er da viel mehr Geld verdienen
könnte. Als ich ihn jedoch gefragt habe, was er denn so machen will, wollte er
nicht so recht raus mit der Sprache. War wahrscheinlich nur so dahergesagt. Ein
wenig mackermäßig ist er ja drauf. Wollte bestimmt bloß Eindruck schinden. Na
ja, werde mal sehen, was so draus wird. Marlene erzähle ich lieber erstmal
nichts von ihm.

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