Nordmord
ihm in diesen Momenten so ähnlich. Er stieg
aus dem Wagen. Es war kälter, als er erwartet hatte. Der Wind schnitt in sein
Gesicht, er schlug den Kragen seiner Jeansjacke hoch und lief über den feuchten
Sand auf die tosenden Wellen zu.
Dirk Thamsen wollte gerade zur Toilette, als die
drei Freunde plötzlich in der Tür zu seinem Büro standen.
»Wir müssen mit Ihnen sprechen!«
Marlene Schumann wirkte aufgewühlt.
Sie erzählte von ihrer Vermutung, dass die Fundstelle der
Kleidung nicht der Ort war, an dem der Täter die Kleidungsstücke in die Au
geworfen hatte. Wahrscheinlich war auch – und der Gedanke kam ihr erst jetzt in
den Sinn – der Fundort der Leiche gar nicht der Ort, wo der Mörder den Körper
ihrer Freundin ins Wasser hatte gleiten lassen.
Die zweite Vermutung konnte er sofort widerlegen. Der
gerichtsmedizinischen Untersuchung zufolge war die Leiche nicht im Wasser
getrieben. Es gab keinerlei Hautabschürfungen oder Ähnliches, welche darauf
hinwiesen. Der Mörder hatte den toten Körper der Ermordeten aller
Wahrscheinlichkeit nach die leichte Böschung hinunter zum Fluss gerollt und
dort am Rand im Schilf versteckt. Die Spurensicherung hatte Schleifspuren im
Gras und jede Menge Abdrücke von Autoreifen gefunden.
Dass die Strömung allerdings die Plastiktüte mit der Kleidung
über eine gewisse Strecke mit sich genommen haben könnte, darauf waren die
Kollegen aus Flensburg auch schon gestoßen. Heute Morgen hatten sie die
Ergebnisse von einem Experten des Gewässer- und Landschaftsverbandes erhalten
und waren mit der Spurensicherung zur Au rausgefahren. Bisher hatte er jedoch
noch keine Rückmeldung bekommen.
Die Freunde erzählten ebenfalls von dem roten Wagen, den
nicht nur die Dame vom Hof, sondern Toms und Haies Aussage nach auch Bernd
Jacobsen des Öfteren an der Fundstelle der Leiche hatte vorbeifahren sehen.
»Glauben Sie mir, wir arbeiten mit Hochdruck an der Aufklärung
des Falles, aber wir können nun mal nicht alle roten Kleinwagen in ganz
Nordfriesland überprüfen.«
Es war ihm unangenehm, dass er nicht wirklich weiterkam. Und
er war beeindruckt von ihrem Einsatz, mit welchem sie versuchten, den Mordfall
aufzuklären. Außerdem war er ihnen etwas schuldig, zumindest Tom und Marlene.
»Was halten Sie davon, wenn wir später etwas zusammen essen
gehen? Ich muss gleich noch zu einer Besprechung, aber so gegen 8 Uhr könnte
ich fertig sein.«
Die Drei waren etwas verwundert, stimmten aber trotzdem zu.
Wahrscheinlich war es besser, mit der Polizei zusammenzuarbeiten. Dass sie bei
ihren privaten Ermittlungen schnell an ihre Grenzen stießen, hatte der Vorfall
an der Soholmer Au deutlich gezeigt.
»Gut, dann sagen wir, 8 Uhr beim Griechen?«
Nachdem die drei Freunde sein Büro verlassen
hatten, wählte er die Nummer seiner Flensburger Kollegen. Bei diesem Wetter das
Ufer der Au abzusuchen, das hatte er gerne den anderen überlassen. Bisher war
die Suche jedoch erfolglos geblieben, wie sie ihm berichteten. Der Regen hatte
den Boden fast vollständig aufgeweicht und mögliche Spuren höchstwahrscheinlich
restlos vernichtet.
Er wollte noch einmal mit
Professor Voronin sprechen und anschließend der Schwester von Carsten Schmidt
einen Besuch abstatten. Er wurde den Verdacht nicht los, dass die Namen aus
Heikes Kalender etwas mit dem Mord an ihr zu tun hatten. Er griff nach seiner
Jacke und verließ das Büro. Im Flur stieß er mit seiner Exfrau zusammen. Sie
roch wieder stark nach Alkohol. In der Hand hielt sie das Schreiben vom
Jugendamt.
»Ich lasse mir die Kinder nicht wegnehmen, du Schwein!«
Mit Fäusten ging sie auf ihn los, trommelte gegen seine
Brust. Er trat einen Schritt zurück, schubste sie angewidert von sich. Sie
taumelte, fand Halt an einem Ständer mit Informationsblättern zur Prävention
von Einbruchsdelikten und anderen Verbrechen.
Er empfand nur Ekel und
Hass. Wie hatte er sich nur so in ihr täuschen können. Auf keinen Fall sollten
die Kinder ihre Mutter in diesem Zustand noch einmal sehen. Er packte sie am
Arm und zerrte sie durch den Flur zur Tür.
»Mach eine Entziehungskur oder du siehst die Kinder nie
wieder!«, schnaubte er, ehe er sie mit einem leichten Stoß hinaus beförderte.
Professor Voronin saß an seinem Schreibtisch und
unterschrieb die Krankenblätter der letzten Tage. Kurz zuvor hatte er ein
Gespräch mit einem Bewerber für die Assistenzarztstelle geführt. Es wurde Zeit,
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