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Nordmord

Titel: Nordmord Kostenlos Bücher Online Lesen
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hatte sie tief und fest geschlafen. Sie fühlte sich frisch und
ausgeruht.
    »Willst du wirklich schon wieder ins Institut?«
    Sie nickte. Viel zu lang hatte sie die Arbeit vernachlässigt.
Die Ablenkung würde ihr guttun.
    Die Kollegin begrüßte sie herzlich, freute sich, dass sie
wieder da war. In der Zwischenzeit gab es Neuigkeiten. Der Heimatverein hatte
bezüglich eines Vortrages angefragt und der Institutsleiter hatte Marlene
vorgeschlagen. Ob sie sich das bereits wieder zutraue? Sie bejahte.
    Bis zum Mittag hatte sie
sich in das Thema ein wenig eingearbeitet. Es ging vorrangig um den
nordfriesischen Humor, welcher sich in zahlreichen Wortspielen, Sprichwörtern
und sogenannten ›Döntjes‹ wiederfand.
    Sie musste ein wenig schmunzeln, als sie in den Aufsätzen teils
älteren Datums las, dass der Friese an sich mit breiten Beinen auf dem
heimatlichen Boden stand, wortkarg, jedoch von sich selbst überzeugt war und
über einen trockenen Humor verfügte. Kurzum, der Friese war halt etwas
Besonderes, eigenwillig und selbstbewusst.
    Nach dem Mittagessen rief sie zum ersten Mal ihre Mails ab.
63 neue Nachrichten, hauptsächlich Beileidsbekundungen und Antworten auf zuvor
von ihr gestellte Fragen, zum Beispiel an ihren ehemaligen Professor und
Mitarbeiter der Storm-Gesellschaft.
    Aber was war das? Unter den vielen Nachrichten befand sich
auch eine Mail von Heike. Sie blickte ungläubig auf das Datum. Empfangen
angeblich einen Tag vor dem Mord. Das konnte doch gar nicht sein. Hatte sie den
Eingang übersehen? Und wieso schickte Heike ihr eine Nachricht ans Institut?
Sie hatte doch immer die private Mailadresse benutzt.
    Mit zitternden Händen klickte sie auf die Mitteilung. Der
Inhalt war dürftig:
    ›Zu deinen treuen Händen.
Gruß und Kuss, Heike‹.
    Marlene schossen plötzlich Tränen in die Augen. Das
Bewusstsein, dass dies wahrscheinlich das letzte Lebenszeichen ihrer Freundin
war, übermannte sie. Schluchzend suchte sie in ihrer Tasche nach einem
Taschentuch und putzte sich lautstark die Nase.

     
    Im Anhang
befanden sich mehrere Dateien. Marlene öffnete die erste, wusste aber nicht so
recht, was sie damit anfangen sollte. Es waren irgendwelche Listen mit
hunderten von Namen und verschiedenen anderen Angaben, die sie nicht verstand.
Wahrscheinlich medizinische Begriffe und Daten. Ein weiterer Anhang enthielt
Kopien von irgendwelchen Krankenhausunterlagen. Sie waren handschriftlich
ausgefüllt und sie hatte Mühe, die krakelige Schrift zu entziffern. Unter den
vielen Einträgen standen unterschiedliche Werte. Wahrscheinlich von
Blutuntersuchungen oder Ähnlichem, mutmaßte sie. Marlene verstand nicht, warum
Heike ihr diese doch augenscheinlich vertraulichen Angaben geschickt hatte. Sie
griff zum Telefonhörer und wählte Toms Nummer, doch es meldete sich nur die
Mailbox.

     
    Haie sah den spielenden Kindern auf dem Schulhof
zu. Sie rannten hintereinander her, spielten Verstecken, schrien und lachten.
Nur ein Junge saß allein auf der Treppe zur Turnhalle und blickte zu Boden.
    »Na, welche Laus ist dir denn über die Leber gelaufen?«,
versuchte Haie den kleinen Jungen aufzumuntern.
    Er erlebte häufig, dass Kinder mit ihm über ihre Ängste vor
einer bevorstehenden Klassenarbeit oder andere Sorgen sprachen.
    Erst als der Junge den Kopf hob und er erkannte, dass es sich
um Sebastian handelte, hätte er sich am liebsten für seinen flotten Spruch die
Zunge abgebissen. Vielleicht war etwas mit Lisa, seiner Schwester. Er ließ sich
neben dem Schüler auf den Stufen nieder.
    »Wir ziehen weg von hier!«
    »Aber wieso das denn?«
    Der Junge zuckte mit den Schultern. Haie fragte sich, ob es
wohl einen Grund für den Umzug der Familie gab. Der Vater hatte doch einen
guten Arbeitsplatz beim Amt und auch Mira arbeitete stundenweise. Außerdem
waren sie hier geboren, ihre ganze Familie lebte im Dorf und in der näheren
Umgebung. Mit Sicherheit hatte Sebastian etwas falsch verstanden.
    »Doch, Mama hat gesagt, wir ziehen wegen Lisa weg. Weil es
besser ist. Immer wegen der blöden Kuh!«, erklärte er trotzig.
    Haie konnte sich vorstellen, dass es für den Kleinen nicht
einfach war, mit der Krankheit der Schwester und der sicherlich weitaus
größeren Aufmerksamkeit, die ihr dadurch nun einmal zuteil wurde, umzugehen. Er
konnte verstehen, dass Sebastian sich vernachlässigt fühlte. Immer drehte sich
alles um das kranke Mädchen. Kein Wunder, wenn der Junge da

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