Nordmord
küsste ihn freundschaftlich auf die Wange.
Seine Kollegen hatten beinahe zeitgleich
Professor Heimkens verhört. Der hatte zunächst alles abgestritten. Er kenne
Voronin nur flüchtig vom Telefon. Russische Männer seien ihm keine bekannt. Und
Lisa Martens? Das Mädchen war angeblich eine Patientin, die er aufgrund des
Bettenmangels in Niebüll auf seiner Station aufgenommen hatte.
Nachdem man ihm jedoch zu verstehen gegeben hatte, dass der
nur flüchtig bekannte Kollege aus Niebüll eben alles gestehen würde, um seine
eigene Haut zu retten, war auch Professor Heimkens gesprächig geworden und
hatte im Großen und Ganzen die Angaben des Professors bestätigt. Er war
allerdings nicht spielsüchtig, hatte keine Ehrenschulden. Werner Heimkens hatte
das Geld anders angelegt. Ein Blick auf den Ärzteparkplatz der Klinik hatte das
deutlich gemacht. Von Weitem stach einem der rote Porsche 911 Turbo ins Auge.
Aber auch er blieb bei der Aussage, dass weder er noch sonst
jemand aus dem Team, wie er die illegale Bande nannte, etwas mit dem Tod von
Heike Andresen zu tun hatte.
»Vielleicht fragen Sie sich mal, wem außer uns Heike Andresen
mit ihrem Wissen geschadet haben könnte.«
Thamsen hatte das jedoch nicht ernst genommen. Wenn es keiner
der Professoren gewesen war, der die Ärztin ermordet hatte, dann wahrscheinlich
einer dieser russischen Schlägertypen. Aber wo man die ausfindig machen konnte,
wussten die beiden wohl nicht. Der Kontakt sei immer durch die Brüder Kamenski
entstanden. Die hätten sich in regelmäßigen Abständen gemeldet. Dass sie das
nach dem, was nun vorgefallen war, weiterhin tun würden, daran zweifelten nicht
nur die Ärzte. Vorsichtshalber gab er die Personenbeschreibungen schon mal nach
Flensburg durch. Eventuell würde man Interpol einschalten müssen. Das lag dann
aber nicht mehr in seinem Zuständigkeitsbereich.
Es war bereits weit nach 22 Uhr, als er
Professor Voronin in die Verwahrzelle sperrte und sich noch einen Kaffee
kochte. Es würde eine lange Nacht werden. Der Häftling durfte nicht allein
gelassen werden, deswegen machte Thamsen es sich in seinem Büro bequem.
Er schlug das Tagebuch auf. Die letzten Einträge hatten ihm
beim gestrigen Lesen außer dem nun bestätigten Organhandel keine neuen
Erkenntnisse gebracht. Trotzdem las er die Aufzeichnungen noch einmal
aufmerksam durch.
30.09.1996
Heute ist Andreas gestorben. Ich fühle mich so unglaublich
leer. Leer und zugleich schuldig, verhindert zu haben, dass sein Leben gerettet
wurde. Wenn er eine neue Niere bekommen hätte von diesem Vladimir, wäre es
nicht zu dieser Hyperkaliämie gekommen. Einmal haben wir ihn kurz reanimieren
können, aber den Scheißkaliumspiegel nicht in den Griff bekommen. Beim zweiten
Mal war es schließlich vorbei. Sein Herz ist einfach stehen geblieben und
wollte nicht mehr schlagen. Wir waren alle fassungslos. Ich musste es dann auch
noch den Eltern sagen. 20 Minuten habe ich gebraucht, bis ich mich halbwegs im
Griff hatte. Die Mutter hat mich nur sprachlos angestarrt, konnte nicht
glauben, dass Andreas tot ist. Aber der Vater ist richtig auf mich losgegangen.
Ich weiß, dass Trauer auch wütend machen kann. Wut über den Verlust. Wut über
die eigene Machtlosigkeit. Ich bin selbst wütend, mache mir Vorwürfe und die
Worte des Vaters hallen wie ein Echo in meinem Kopf wieder: »Das ist alles Ihre
Schuld!«
Der Abend war schön gewesen. So schön wie schon
lange nicht mehr. Marlene hatte sich erleichtert gefühlt. Zwar schmerzte der
Verlust der Freundin weiterhin und das würde sicherlich auch noch lange
anhalten, aber die Tatsache, dass der Mörder nun mit ziemlicher
Wahrscheinlichkeit gefasst war, machte es irgendwie ein wenig einfacher.
Beim Essen hatten sie noch darüber spekuliert, was denn nun
mit Lisas Eltern geschehen würde. Immerhin waren sie an einem illegalen
Organhandel beteiligt gewesen. Tom war der Meinung gewesen, dass mit Sicherheit
bei ihrer Anklage mildernde Umstände zum Tragen kämen, schließlich war es erst
durch ihre Aussage möglich gewesen, alles aufzudecken und Heikes Mörder zu
fassen. Auf jeden Fall würde man Lisa die Niere nicht wieder wegnehmen, hatte
Haie gemeint, und das sei für die Eltern ja der eigentliche Auslöser für den
Kauf des illegalen Organs gewesen. Das Mädchen war gesund, zumindest für Lisa
hatte der verbrecherische Handel ein gutes Ende genommen. Fraglich, ob das auch
Weitere Kostenlose Bücher