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Nordwind: Kriminalroman (German Edition)

Nordwind: Kriminalroman (German Edition)

Titel: Nordwind: Kriminalroman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Håkan Östlundh
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erwähnt. Aber als sie im August so oft unterwegs war, dachte ich, sie würde sich wieder mit ihm treffen.«

85
     
    »Du wirst doch keine Angst vor Schusswaffen haben?«
    Henrik starrte Alma wortlos an. Sie hielt das Gewehr in seine Richtung, zielte aber nicht direkt auf ihn.
    »Keine Angst«, sagte sie. »Es ist nicht geladen.«
    »Okay«, erwiderte er kleinlaut und spürte, wie die Kälte langsam aus seinen Gliedern wich.
    »Ich dachte, wenn man hier draußen ganz alleine wohnt …« Sie hielt ihm die Schrotflinte mit beiden Händen hin. »Aber es ist natürlich deine Entscheidung.« Sie legte den Kopf schief und sah ihn unsicher an. »Findest du, das war dumm von mir?«
    »Nein«, sagte er, »aber ich habe noch nie mit einer Schrotflinte geschossen.«
    »Ich kann dir zeigen, wie es geht.«
    Sie nahm das Gewehr in die eine Hand, ging zurück zum Auto und holte eine Pappschachtel aus den Falten der roten Wolldecke hervor.
    »Wir können ein Stück in den Wald gehen.« Alma deutete mit dem Kinn auf die Bäume hinter dem Nachbarhaus. Dorthin, wo der Wald dichter und es zwischen den Stämmen schon dunkel wurde. »Bengt und Ann-Katrin sind bestimmt bei der Arbeit. Hier stören wir keinen.«
    »Ja, gut«, sagte er, ohne eine Minute überlegt zu haben, ob er wirklich eine Schrotflinte im Haus haben wollte.
    Der Rückstoß war schwächer und der Knall lauter, als er erwartet hatte. Es machte einen großen Unterschied, ob er fünf Meter neben Alma stand, wenn sie schoss, oder ob er das Gewehr selbst ganz nah am Ohr hatte.
    Das Schrot hatte eine große Wunde in die Rinde der Kiefer gerissen, auf die er gezielt hatte. Alma sagte etwas, aber er konnte sie nicht hören. Er war noch immer fast taub von dem Schuss.
    »Was?«
    Sie kam näher. »Was war es für ein Gefühl?«
    »Geht so.«
    Er hatte keine Ahnung, wie man über Waffen sprach.
    Jetzt stand sie so dicht neben ihm, dass er ihren Atem hörte, während sie sprach. Sie waren ganz allein mit den knorrigen alten Fårökiefern und dem melancholischen Wispern des Windes in den Baumkronen. Sie war ihm so nah. Unheimlich nah für eine Fremde, die seine Schwester war. Vor Kurzem war er noch der einsamste Mensch auf der Welt gewesen. Von einem Moment zum anderen schien er eine dreißigjährige Leere überwunden zu haben. Er war über einen unendlichen Abgrund gestiegen, als hätte er nie existiert.
    »Ist es nicht furchtbar seltsam?«, fragte er.
    »Was denn?«
    »Wir«, sagte er.
    Alma sah ihn ernst an. Ihre Lippen zuckten, als suchte sie nach einem bestimmten Wort. »Stimmt«, sagte sie dann knapp. Sie legte ihm flüchtig die Hand auf den Oberarm.
    Die Kiefern ringsherum standen stumm und entschlossen da. Er wusste nichts über diese Frau, und doch wirbelten die Gefühle in seiner Brust herum, als wäre sie einer der wichtigsten Menschen in seinem Leben.
    »Noch mal.« Sie zeigte auf den hellen Fleck am Baumstamm.
    Henrik hob das Gewehr und feuerte die zweite Patrone ab. Er traf genau dieselbe Stelle.
    In der vorübergehenden Taubheit nach dem Schuss dachte er daran, dass keiner von ihnen erwähnt hatte, wofür das Gewehr und die kleine Schießübung in seinem Fall eigentlich gedacht waren.
    Um einen Menschen zu erschießen.
    Alma streckte die Hand nach der Waffe aus. Er reichte sie ihr. Sie öffnete das Magazin, ließ die leeren Hülsen auf den Boden fallen und gab sie ihm zurück. Henrik legte sich das Gewehr offen auf den Unterarm. So hatte er es in Filmen gesehen. Er kam sich ein wenig albern vor und war sich nicht sicher, ob man es wirklich so machte.
    Alma sah ihn nachdenklich an. Anfangs glaubte er, sie wollte kommentieren, wie er das Gewehr hielt, aber sie sagte nichts, sondern sah ihn nur weiter mit diesem bekümmerten Blick an.
    »Was ist los?«
    Sie lächelte vorsichtig, doch dann wurde sie wieder ernst. »Es ist nicht alles so, wie du denkst.«
    Was meinte sie damit? Das Schießen? Das, was im Haus passiert war? Malin und Axel? Verwirrt sah er sie an.
    »Es fällt mir nicht leicht, darüber zu sprechen«, sagte sie.
    »Worüber?«
    Die Worte machten ihm Angst. Was deutete sie da an? Nun wollte er es wissen.
    »Über Mutter, dich, uns.«
    Sie sagte es leise, flüsterte beinahe, und doch war jedes Wort schwer wie Blei, sank in seinem Innern auf den Grund und machte es ihm unmöglich, sich wegzubewegen. Ihm wurde schwindlig.
    »Ich habe keine Ahnung, wie viel du weißt, aber ich bin mir ziemlich sicher, dass du nicht …« Sie hielt inne und berührte wieder seinen

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