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Nordwind: Kriminalroman (German Edition)

Nordwind: Kriminalroman (German Edition)

Titel: Nordwind: Kriminalroman (German Edition)
Autoren: Håkan Östlundh
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wirklich verändert. In der Familie schien eine Art Rochade stattgefunden zu haben. Noch vor einem Jahr hatte Joakim immer hinter seiner geschlossenen Zimmertür vor dem Computer gesessen, während Simon fröhlich, extrovertiert und noch sehr auf Ninni und Fredrik fixiert gewesen war. Nun war es umgekehrt. Joakim hatte sich über Nacht in einen verantwortungsvollen, gesprächigen und selbstständigen Erwachsenen verwandelt. Er war zwar nicht übermäßig auf seine Eltern fixiert, aber ihnen gegenüber zumindest offen, wenn sie sich trafen. Simon dagegen hatte Joakims frühere Rolle übernommen und die Tür zum Kinderzimmer hinter sich geschlossen.
    »Wie läuft’s?«, fragte Ninni.
    Sie kam um den Tisch herum, schnappte sich eine Zeitung von einem der Stühle und wollte sich setzen.
    »Gleich fertig«, sagte Fredrik, »die Quenelles müssen nur noch kurz ziehen. Es wäre super, wenn du den Tisch decken könntest.«
    Mit einem theatralischen Seufzer ließ Ninni die Zeitung auf den Tisch fallen. Sie öffnete den Schrank und nahm drei hellgelbe Teller heraus.
    »Wollen wir vielleicht die weißen nehmen?«, wandte Fredrik ein. »Auf denen da verschwindet die Soße.«
    »Jawohl der Herr!« Ninni stellte die gelben Teller zurück und griff stattdessen nach den weißen.
    »Findest du Fischbällchen für ein Festessen denn so passend?«
    »Du, das ist die hohe Schule der Kochkunst.« Fredrik deutete auf die Quenelles, die darauf warteten, ins heiße Wasser gelegt zu werden. »Da kannst du jeden fragen, der sich ein bisschen mit Essen auskennt.«
    »Tue ich das etwa nicht?«
    »Okay, du kannst jeden fragen, der sich etwas besser mit Essen auskennt.«
    Ninni stellte die Teller auf den Tisch und holte Gläser und Besteck.
    »Warte ab, bis du probiert hast«, fügte Fredrik hinzu.
    »Wie war denn dein erster Tag?«, erkundigte sich Ninni, während sie die drei Gedecke platzierte.
    »Gut. Es war sehr gut. Nichts Besonderes. Sara und ich sind gemütlich nach Fårö gefahren.«
    »Klingt nach Urlaub. In weiblicher Gesellschaft.«
    Fredrik verzog das Gesicht.
    »Das war ein Scherz«, grinste sie.
    »Na, hoffentlich.«
    Es wurde still. Warum hatte sie das gesagt? Ausgerechnet heute.
    »Es war wirklich nur ein Scherz«, wiederholte sie. »Ich bin froh, dass du wieder arbeitest. Man merkt jetzt schon, dass dir das guttut.«
    »Schon in Ordnung, ich glaub dir ja. Es war jedenfalls ein sehr gutes Gefühl.«
    Fredrik fischte die fertigen Quenelles aus dem Wasser und legte die letzte Fuhre zum Garen hinein. Während er darauf wartete, dass die Bällchen an die Oberfläche schwammen, betrachtete er den Zeitungshaufen auf dem Stuhl. Er mochte diesen Stapel nicht, der sich dort gebildet hatte, seit Joakim in Stockholm wohnte. Ihm missfiel der Stapel, und ihm missfiel, dass der Tisch nur für drei Personen gedeckt war. Das hatte etwas Bedrückendes. Das Haus war mit einem Schlag zu groß und zu still geworden. Kaum hatten sie ihr Leben wieder einigermaßen im Griff, hatten sich die äußeren Bedingungen erneut verändert.
    Als Joakim einen Platz in der Fotoklasse der Nyckelviksskola bekam, wurde seine Freundin, mit der er seit zwei Jahren zusammen war, gleichzeitig an derselben Schule in den allgemeinen Zweig aufgenommen. Die beiden hatten sich selbstständig eine Wohnung in Stockholm organisiert. Es war eine winzige Einzimmerwohnung in Gärdet, nur eine U-Bahn-Station von Ropsten entfernt, wo der Bus zur Schule abfuhr. Fredrik bezweifelte nicht, dass Joakim in Stockholm zurechtkommen würde. Zumal er seine Großeltern mütterlicherseits in Gustavsberg und den Großvater väterlicherseits in Nacka hatte. Das war es nicht. Es war nur so traurig ohne ihn. Vor allem, weil er so weit weg war, dass er nicht einmal übers Wochenende nach Hause kommen konnte. Höchstens ab und zu. Fredrik kam sich plötzlich sehr alt vor.
    Oder hatte das gar nichts mit dem Alter und dem leeren vierten Stuhl zu tun? Vielleicht fand das alles nur in seinem Kopf statt und hing mit diesem ganzen Mist zusammen. Der Hölle von Östergarnsholme. Dem Unfall.
    »Simon«, rief er nach oben.
    Diesmal lauter. Durch die Decke war leise das Scharren eines Stuhls zu hören.
    Der erste Tag. Vielleicht hätte sie das Essen zubereiten sollen und nicht er. Wenigstens eine kleine Überraschung hätte sie sich überlegen können.
    Stattdessen hatte sie ihn an diesen alten Fehltritt erinnert. Vollkommen unabsichtlich, das könnte sie schwören. Allerdings – was hieß schon alt. So
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