Nosferas
Mund.
»Still!«, raunte er ihr ins Ohr. »Riechst du das nicht?«
Sie befreite sich aus seinem Griff und reckte die Nase vor. »Ein Mensch«, hauchte sie.
»Ja, eine Frau«, bestätigte Franz Leopold.
Auch Karl Philipp hatte sie bemerkt. Seine Zähne blitzten im Sternenlicht. »Sie ist ganz in der Nähe«, raunte er heiser. Seine aufsteigende Erregung umgab ihn wie eine Wolke. »Lasst uns näher herangehen!«
Er wartete nicht auf die Zustimmung der anderen. Geschmeidig wie ein Schatten glitt er zwischen den Trümmern hindurch. Den beiden anderen blieb nichts übrig, als ihm zu folgen. Nun spürte auch Franz Leopold, wie sein Blut in Wallung geriet. Und er erkannte auch den süßen Geruch mit dem Hauch herber Kräuter. Die Nonne! Ivy hatte recht. Sie kam immer wieder zu diesem Platz am Kolosseum. War es auch das letzte Mal gegen drei Uhr gewesen? Franz Leopold wusste es nicht mehr. Aber er wusste, dass dies für eine junge Menschenfrau kein normales Verhalten war! Und noch weniger für eine Ordensschwester, was sie laut Ivy ja sein sollte.
Karl Philipp blieb nur einen Bogen von der Frau entfernt stehen. Natürlich hatte sie die Gefahr noch nicht bemerkt. Menschen waren erstaunlich stumpfsinnig - und anscheinend auch ebenso leichtfertig! Franz Leopold schloss für einen Moment die Augen und konzentrierte sich auf ihren Geruch. Ja, kein Zweifel. Es war die gleiche Frau. Ein Wunder, dass sie bisher von keinem der Bewohner der Domus Aurea angegriffen worden war. Vielleicht verzichteten die Nosferas absichtlich darauf, Menschen so nah an ihrem Domizil auszusaugen. Das wäre eine Erklärung.
»Ich werde sie mir holen«, hauchte Karl Philipp und leckte sich über die Lippen.
Franz Leopold schreckte hoch. »Nein! Wir müssen los. Die Zeit läuft. Gleich wird die Turmuhr schlagen.«
»Was interessiert mich deine dumme Wette. Hier ist eine Menschenfrau, ganz allein!«
Nun strahlte auch Anna Christina Verärgerung aus. Sie griff nach dem Ärmel seiner Jacke. »Wette oder nicht, du weißt, dass es für uns verboten ist, und das aus gutem Grund. Es ist gefährlich!«
Karl Philipp sah kalt auf sie hinab. Sie war zwar zwei Jahre älter als er, doch auch einen halben Kopf kleiner. »Ich kann selbst entscheiden, wann es für mich so weit ist. Wenn du es bisher nicht getan hast, bist du selbst schuld, doch ich werde mir nun nehmen, was mir zusteht. Kannst du nicht auch ihr Herz schlagen hören? Das Blut in ihren Adern spüren? Die Wärme fühlen? Der Druck hinter meinen Zähnen bringt mich fast um und ich kann und will die Gier nicht länger bezähmen!« Anna Christina nickte wie in Trance. Ihre Zähne ragten über die geschminkten Lippen.
Franz Leopold schluckte trocken. Seine Gier nach menschlichem Blut war am größten, weil er der Versuchung bereits erlegen war. Aber nur er hatte auch in den Abgrund des Wahnsinns geblickt, der hinter dem kurzen Rausch lag, wenn der Vampir jung und schwach war. Ihm war zu spät klar geworden, dass die älteren Mitglieder des Clans diese Regel nicht aufgestellt hatten, um die jungen Vampire zu strafen, sondern um sie zu schützen. Er würde nicht zulassen, dass die beiden diesen Fehler wiederholten!
Franz Leopold umklammerte ihre Oberarme. Eindringlich sprach er auf sie ein. »Kommt, hört ihr nicht die Glocke schlagen? Der Schaden, den es uns bringen würde, wiegt den Genuss nicht auf! Lasst die Nonne in Ruhe und folgt mir.«
Anna Christina zögerte. Sie war für seine hypnotische Stimme durchaus empfänglich, doch Karl Philipp riss sich los. Er war bereits in eine Raserei verfallen, die ihn für eine Beeinflussung seiner Gedanken unempfindlich machte. Ehe Franz Leopold es verhindern konnte, stand er schon neben der Nonne und begrüßte sie in stockendem Italienisch. Die beiden anderen stöhnten und sahen einander Hilfe suchend an. Was sollten sie tun? Sie hörten seine gurrende Stimme mit dem tiefen Unterton, der die Ängste seines Opfers im Keim erstickte. Es war so einfach! Und falls sie es überlebte, würde sie am Morgen keine Erinnerung mehr an den gut aussehenden Räuber haben. Franz Leopold beugte sich vor, um besser sehen zu können. Offensichtlich wollte sich Karl Philipp nicht mit langen Reden aufhalten. Er bog den Kopf der Frau zurück, schob hastig den Schleier weg und riss ihren weißen Kragen auf, um die pulsierende Ader am Hals freizulegen.
Anna Christina ergriff Franz Leopolds Hand. »Wir müssen ihn da wegbringen!«
»Ja, er stürzt sich und auch uns ins
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