Notbremse
gelöst, stockte Häberle der Atem. Er hatte im Laufe seines Berufslebens schon viele Überraschungen erlebt – aber jetzt traf es ihn wieder wie ein Donnerschlag. Was er im Schein der am Boden stehenden Lampe erkannte, war ein Kopf. Ein menschlicher Kopf.
Rieder hatte Whisky getrunken, den er seit vielen Jahren im untersten Fach seines Aktenschranks aufbewahrte. Er war für Augenblicke wie diesen gedacht. Niemals würde er tagsüber zu Hochprozentigem greifen. Aber jetzt, in dieser schwülen Julinacht, brauchte er dringend etwas, das die Gedanken und Gefühle beruhigte. Er nahm einen kräftigen Schluck, stellte die Flasche neben das Telefon und drückte eine Nummer.
»Ich bin’s«, sagte er leise, als wolle er verhindern, dass jemand mithören konnte. Doch um diese Zeit war er längst im Verwaltungstrakt des Unternehmens allein. »Mit dem Luder ist was passiert«, erklärte er. »Entweder hat man sie aus dem Verkehr gezogen oder sie hat sich davongemacht.«
Rieder berichtete dem Angerufenen von dem anonymen Hinweis, wonach der Firmen-Mercedes am Rasthaus Irschenberg stehe und der Fahrzeugschlüssel per Post zugesandt werde.
»Dann ist der Koffer auch weg?«, fragte die Stimme zurück.
Rieder wollte sich nicht ausmalen, was es bedeuten würde, wenn der Inhalt des Koffers mit ihm und seinem Unternehmen in Verbindung gebracht wurde. »Man muss mit dem Schlimmsten rechnen«, gab er erschöpft zurück, fügte dann aber unerwartet forsch hinzu: »Vergessen Sie nicht, dass Ihrer auch weg ist.«
Horschak, der in dem Kiefersfelder Hotel wach auf seinem Bett gelegen hatte, sagte nichts. Tausend Vorwürfe zermürbten sein Gehirn. Doch seit heute Vormittag versuchte er vergeblich, Ordnung, vor allem aber eine Logik in seine Gedanken und sein Verhalten zu bringen.
»Wie ist das jetzt in Mannheim?«, riss ihn die energische Stimme Rieders wieder in die Realität zurück. »Ihnen ist schon klar, dass Sie uns das vermasselt haben?«
Mit diesem Vorwurf hatte Horschak schon den ganzen Abend gerechnet. Natürlich wusste er, dass das Treffen in Mannheim entscheidend gewesen war. Entscheidend für ein großes Geschäft, von dem sich Rieder Millionen versprach.
»Vermasselt …«, stammelte er wie ein kleiner Junge. »Noch sehe ich das nicht so.«
»Aber ich«, kam es giftig zurück. »Wenn ich mir das alles genau überlege, steckt womöglich Lambert dahinter. Ich hab Ihnen schon oft gesagt, dass dem alles zuzutrauen ist.«
Horschaks schwerer Atem war durch das Telefon zu hören. Oft genug hatte er schon erlebt, wie Rieder ausfällig werden konnte, wenn er sich von seinem Konkurrenten an die Wand gedrückt fühlte. Immerhin hatte er »das fiese Bürschchen«, wie er sich auszudrücken pflegte, sogar mal ausgebildet. Hatte ihm die Tricks und halb legalen Methoden beigebracht – und dann war dieser Typ zu ›Aspromedic‹ gewechselt und dort mit den heutzutage typischen Ellbogenpraktiken ins höchste Management aufgestiegen. Seit einem halben Jahr war er Geschäftsführer. So spielte das Leben. Gnadenlos.
»Lambert lassen die nicht so weit vor«, versuchte Horschak die gespannte Lage zu beruhigen. Doch seine Stimme klang wenig überzeugend.
»Was wissen Sie schon von Lamberts Möglichkeiten!«, bläffte Rieder und sog die kühler gewordene Luft von draußen ein. »Unterschätzen Sie Lamberts Einfluss nicht.«
»Aber …«, Horschak überlegte, ob er es sagen sollte. »Aber Ihr Name hat in der Branche das bessere Image.«
»Image«, entfuhr es Rieder zischend. »Was zählt heute schon das Image? Das wissen Sie doch selbst! Kohle zählt. Kohle. Nur wer am schnellsten reagiert, vor allem aber richtig reagiert, kommt zum Zug.«
»Ich bin davon überzeugt, dass die Herrschaften in Mannheim auf Ihr Angebot warten.«
»Zuerst mal haben wir einen Termin platzen lassen – oder ist Ihnen das noch immer nicht bewusst?«
»Ich hab mich abgemeldet«, gab Horschak zurück.
»Einfach so, abgemeldet«, ärgerte sich Rieder. »Wissen Sie, was das heißt? Da stehen Entscheidungen über Millionen an und mein Mann an der Front meldet sich ab.« Pause, dann äffte er ein fiktives Telefongespräch nach: »Tut mir leid, aber wir stecken in der Scheiße. Tut mir leid, meine Herren, hinter uns ist der Staatsanwalt her.«
Horschak schwieg betreten.
»Oder welches Märchen haben Sie denen aufgetischt?«
»Dass sich kurzfristig noch ein neuer positiver Aspekt ergeben habe«, hörte er Horschaks Stimme.
»Dann lassen Sie sich mal was
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