Nottingham Castle, letzte Tuer links
verbesserte sich schnell, „ich meine, Lady
Nottingham – sie hatte wohl keine weiteren Kinder?”
„Sie
war schon ziemlich alt, als sie endlich guter Hoffnung war. Ihr Mann kam kurz
vor der Niederkunft bei einem Kampf ums Leben.”
Susannah
nickte. „Dann war sie wohl recht verzweifelt. Das Kind war ihr einziger
Nachkomme, und dann verstarb es.”
„Willst
du sie verteidigen?” Er setzte sich aufrechter hin, blitzte sie an.
Sie
blieb ruhig. „Nein, nur verstehen”, erklärte sie. „Sie hat also versucht, einen
echten Edelmann aus Euch zu machen, nach ihrer Vorstellung.”
Er
sprang auf. „Weißt du, was das bedeutet hat? Hart wollte sie mich machen, um
jeden Preis. Schenkte mir einen Hund, den ich lieb gewann, nur, um mir
anschließend zu befehlen, ihn umzubringen. Mit meinen eigenen Händen. Damit ich
mich nicht an Sentimentalitäten gewöhnte.”
Eine
Haarsträhne fiel ihm in die Stirn, doch er war so in Rage, dass er es gar nicht
bemerkte. „Sie gewöhnte mich an Schmerzen, von klein auf, mit Hieben, Peitschen
oder glühenden Stöcken. Um mich abzuhärten fürs Leben. Willst du die Narben
sehen?”
Er
schob den linken Ärmel seines Hemds zurück, zeigte ihr blasse Male an seinem
Unterarm. „Und alles nur, um einen starken Herrscher aus mir zu machen, aus mir,
dem unwürdigen Sohn einer Amme.”
Seine
Hände fielen wieder nach unten.
Susannah
schluckte. Ihr war eiskalt geworden. Wie hatte diese kaltherzige Frau einem
Kind nur derartige Dinge antun können! Es musste die reinste Hölle gewesen
sein, unter solchen Umständen aufzuwachsen. Mit dieser Bestie als Mutter.
„Was
wird nun mit ihr geschehen?”, fragte sie.
Er
starrte auf eine dunkle Maserung in den Holzdielen. „Ich weiß es nicht. Ihr
wird keiner glauben. Ich kann das Gerücht streuen, dass sie verrückt sei, die
meisten halten sie sowieso schon für verwirrt. Ich werde natürlich weiterhin
der Herr über Nottingham Castle bleiben.”
Susannah
stand auf und trat an ihn heran. „Werdet Ihr mir nun die Zunge herausschneiden,
um sicherzugehen, dass ich niemandem etwas davon erzähle?”
Er
blickte sie an und versuchte ein Lächeln, das misslang. „Wer glaubt schon einer
Hebamme”, sagte er mit völlig fremder, weicher Stimme.
Sie
hob ihre Hand und legte sie an seine Wange. Ein überraschter Ausdruck erschien
auf seinem Gesicht, aber er ließ sie gewähren.
„Sie
wollte Euch von jedem Gefühl fernhalten”, sagte sie leise. „Aber ich weiß, dass
Ihr kein kaltherziger Mensch seid.”
„Da
würde dir jeder unten im Dorf widersprechen, Susannah.”
Es
war das erste Mal, dass er ihren Namen ausgesprochen hatte. Ein warmer Schauer
lief durch ihren Leib. „Susannah”, hatte er gesagt. Mit dieser tiefen,
vollen Stimme, die schon immer ihr Herz einen Tick schneller schlagen ließ.
Fast so, als wäre es ein Kosewort. Irgendetwas in ihr fühlte plötzlich eine
große Zuneigung zu diesem unbeherrschten, brutalen und egoistischen Herrscher
über Nottingham Castle, der wie ein trauriges kleines Kind vor ihr stand.
„Ist
mir egal, was die Leute reden.”
Sie
legte ihre Arme um ihn und zog ihn sanft an sich. Er ließ es geschehen, stand
erst ganz steif, doch dann schlang auch er seine Arme um ihren Leib, drückte
sie an sich. Seine Wange war rau, doch das machte ihr nichts aus. Sie hielt
ihn, hielt ihn fest wie einen Verzweifelten, streichelte seinen Nacken, küsste
ihn leicht auf den Hals.
„Es
wird alles gut”, versuchte sie, ihn zu beruhigen, „niemand weiß, dass Ihr kein
echter Mann von Stande seid.”
„Ich
weiß es”, sagte er nur. Und sein Tonfall ließ sie erschaudern. „Ich weiß, dass
ich ein Nichts bin. Im Grunde unwürdig, hier zu leben oder Befehle zu
erteilen.”
Die
Bitterkeit in seinem Ton war nicht zu überhören.
„Das
ist Unsinn! Ihr seid in diese Aufgaben hineingewachsen. Und es ist nicht Eure
Schuld, dass Ihr als Säugling ausgetauscht wurdet.”
Seine
Augen blieben matt. Ihr Herz zog sich zusammen, als sie dies sah. Susannah
strich ihm eine Strähne seines schwarzen Haares aus der Stirn und fuhr mit den
Fingern sachte über seine Schläfe.
„Mir
ist es egal, ob Ihr von Geburt ein Edelmann seid oder nicht”, flüsterte sie.
Sie
legte ihre Lippen langsam auf die seinen, küsste ihn, wollte all die Misshandlungen
wegküssen, all die Schmerzen und Verletzungen, die er erfahren hatte, ihn
trösten mit ihrer Wärme und ihrer Zärtlichkeit. Er war kein schlechter Mensch,
das spürte sie. Einer der
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