Nottingham Castle, letzte Tuer links
hatte. Nur ein paar Häuser weiter ergriffen die
Soldaten gerade zwei Mädchen. Als der große Bruder sich wehren wollte, hieb der
Wachmann mit einem Stock auf ihn ein. Dann sah er sich suchend nach der Mutter
um.
„Die
holen alle Kinder und Frauen!”, brüllte irgendwo eine Stimme. Ein Pferd
wieherte, Hunde bellten aufgeregt, ein Säugling schrie. In den Augen hatte sie
beißenden Rauch, jemand rief verzweifelt nach Wasser zum Löschen.
Endlich
kam Bewegung in Susannah. Sie begann zu laufen, stürmte an dem brennenden Haus
vorbei und weiter, weiter, fort von hier, Schutz suchen im Grün des Waldes! Sie
strauchelte, fiel hin, raffte sich aber schnell auf und lief weiter, sich immer
wieder umsehend, ob einer der Soldaten hinter ihr hergaloppierte. Ihr Knöchel
tat weh vom Sturz, aber sie rannte trotzdem weiter. Endlich war sie, unter heftigem
Keuchen, im Wald angekommen, wo sie sich hinter einem umgestürzten Baum
versteckte.
Wie
konnte er nur!
Sie
strich sich eine schweißnasse Strähne aus der Stirn. So sicher war sie sich
gewesen, dass er kein Untier war. Dass da eine menschliche Seele in ihm wohnte.
Sie hatte es doch gesehen! Den Schmerz in seinen Augen, die Enttäuschung über
seine angebliche Mutter.
Und
wie er mit ihr selbst gesprochen hatte, ganz gleichwertig und verständig. Sie
hatte sogar Mitleid mit ihm gehabt. Und nun? Nun schickte er seine Soldaten
aus, um den Plan seiner grausamen Mutter umzusetzen und die Kinder hinrichten
zu lassen?
In
Susannahs Brust zog sich alles zusammen. Sie schlang die Arme um ihren Leib,
ihr Magen krampfte. Wie hatte sie sich nur so täuschen können!
Der
Rauch über den Häusern des Dorfes wurde allmählich weniger, offenbar hatten die
Soldaten nicht noch schlimmer gewütet mit ihren Fackeln. Allem Anschein nach
war es ihren Nachbarn gelungen, den Brand zu löschen.
Aber
die Kinder und Frauen hatte er geholt, bestimmt ließ er sie just in diesem
Moment in den Kerker werfen. Sie war sich so sicher gewesen, dass er sich
seiner Mutter widersetzen würde. Sie hatte doch die Abscheu in seinen Augen
lesen können, den Hass auf diese Frau und ihre Lügen!
Aber
vielleicht konnte er einfach nicht. Weil er nichts anderes kennengelernt hatte
in seinem Leben. Macht, Härte, Rücksichtslosigkeit – dazu war er erzogen
worden, alles andere war ihm fremd. Und natürlich griff er immer auf das
Altbewährte zurück. War letztendlich doch zu schwach, um sich gegen den Einfluss
der Frau, die ihn aufgezogen hatte, durchzusetzen, dieser verdammte Hasenfuß.
Susannah
wischte sich eine Ameise vom Arm und wagte sich ein wenig aus dem Gestrüpp
heraus, wartete ab.
Doch
es gab noch diese andere Seite an ihm. Den weicheren Eadric, der sich damals
auf dem Schoß seiner Amme wohlgefühlt hatte. Der durchaus Gefühle in sich trug,
auch wenn man versucht hatte, diese aus ihm herauszuprügeln und stets als
verachtenswert darzustellen. Hin und wieder hatte sie diese Seite aufblitzen
sehen bei ihm. Aber immer nur kurz.
Wie
man gerade feststellen konnte, würde diese niemals siegen. Aber vielleicht –
vielleicht hatte er ja Erbarmen. Hielt die Kinder und Frauen nur gefangen, als Faustpfand,
damit er Robin Hood gegen sie austauschen konnte. Und diesem bei Sir John dann
ganz ordentlich der Prozess gemacht werden konnte. Damit hätte er sich doch
auch als guter Verwalter der Grafschaft erwiesen, er hätte Robin dingfest
gemacht und kein Blut müsste fließen. Das würde doch viel besser zu dem Mann passen,
der noch vor Kurzem ihre Umarmung erwidert hatte, zärtlich und warm, nicht wie
eine wilde Bestie.
Sie
hoffte so sehr, dass sie sich darin nicht täuschte!
Als
es ruhiger geworden war, wagte sich Susannah zurück ins Haus. Die Gefahr war offenbar
gebannt. Ihr Vater stapfte kurz nach ihr zur Tür herein, wütend gestikulierend.
„Diese
Bastarde”, rief er und knallte seine Arzttasche auf einen Stuhl, „die haben
verkündet, dass auf dem Castle jeden Tag Gefangene hingerichtet werden, wenn
Robin sich nicht freiwillig meldet. Und mit den Kindern wollen sie anfangen. Verdammte
Schweinehunde! Dieser Eadric von Nottingham ist der Teufel höchstpersönlich!”
Mit
offenem Mund starrte Susannah ihn an. Also doch!
„Du
hast völlig recht”, stimmte sie ihrem Vater zu, „er ist ein absolut
verabscheuungswürdiger Mensch!”
Wie
hatte sie nur jemals von ihm denken können, dass er über irgendwelche Gefühle verfügte!
Am liebsten hätte sie ihm auf der Stelle ins Gesicht
Weitere Kostenlose Bücher