Nottingham Castle, letzte Tuer links
ihr etwas bedeutete als Mensch.
Oder Mann.
Dabei
hatte sie ihn sicher nur einlullen wollen mit ihren vorgespielten
Zärtlichkeiten. Er biss die Zähne so fest aufeinander, dass sein ganzer Kiefer
und der Nacken schmerzten. Und schon wieder war sie bei ihm in seiner
Phantasie, ganz deutlich, ihre Hände auf seinen verspannten Schultern, so warm
und sanft, wie sie diese kneteten und streichelten und liebkosten und küssten…
„Ich
werde langsam verrückt!”, stieß er hervor. Und grinste bitter. Er konnte ja
nicht einmal sagen, dass es in der Familie lag, denn dieses verwirrte Weib
unten im Kerker war schließlich nicht seine leibliche Mutter.
Und
wenn es doch echt gewesen war?
Eadric
seufzte laut. Er gab es auf, gegen die Vielzahl von Stimmen anzukämpfen, die
sich allem Anschein nach in seinem Schädel breit gemacht hatten und munter
durcheinander redeten. Erschöpft ließ er sich auf einen Stuhl fallen und hörte
zu, was sie ihm einflüsterten. So fühlten sich also diese Irren, die man in
Ketten legte und in ein dunkles Verlies sperrte. Eine Erfahrung, auf die er gut
hätte verzichten können.
Wenn
ihre Umarmung wirklich von Herzen gekommen war?
Ja,
was dann?
Es
machte doch keinen Unterschied, absolut keinen. Morgen um diese Zeit war er
schon unterwegs in sein neues Leben. Er würde Susannah niemals wiedersehen.
Das
wurde ihm nun erst richtig bewusst. Ruckartig sprang er vom Stuhl auf. Völlig
egal, ob echt oder nicht. Ein einziges Mal in seinem Leben wollte er sie noch
spüren. Er würde ihr sagen, dass dies ihr letzter Dienst sei und sie danach
frei wäre. Sicherlich würde sie nicht mit einer Weigerung riskieren, dass er
ihrem Vater oder ihr selbst etwas antäte, so dumm war sie nicht.
Und
wer wusste schon, ob sie ihm nicht doch aus freien Stücken ein wenig Leidenschaft
entgegen bringen würde…
Voll
Tatendrang raffte er einige Gewänder zusammen und rief einen Diener herein. Er
drückte ihm den Stapel in die Hand. „Pack das sorgsam in die Truhe für Lady
Marian, das sind Geschenke für meine künftige Braut.”
Dann
eilte er den Gang entlang und die Treppe hinunter in die Halle. Es gab noch
vieles zu erledigen, bevor er sich selbst eine letzte Nacht als
Abschiedsgeschenk machen konnte.
*
Es
war später Nachmittag, als Susannah das Neugeborene endlich in ein
zerschlissenes Tuch wickelte.
„Willkommen
auf der Welt, kleine Margery”, sagte sie leise und reichte das Kind der Mutter.
Für Agnes war es die erste Niederkunft gewesen und dementsprechend lange hatte
es angedauert. Sie zeigte Agnes, wie sie ihre Tochter am Besten an die Brust
legte, und ging dann zur Feuerstelle, wo der Topf mit Wasser hing. Die Kräuter,
welche sie benötigte, holte sie aus einem kleinen Leinenbeutel. Ihre
Lehrmeisterin Marybeth hatte sie in diesen Dingen gut unterrichtet. Agnes hatte
während der Niederkunft sehr viel Blut verloren und mehr als einmal hatte
Susannah heimlich nach dem Fläschchen in ihrer Rocktasche gegriffen, welches
ihr Vater ihr damals in die Hand gedrückt hatte. Doch sie wollte dieses
neuartige Wundermittel nicht ausgerechnet in einer derart bedrohlichen
Situation ausprobieren. Sicher würden sich einmal harmlosere Gelegenheiten
bieten. Aber heute verließ sie sich lieber auf die altbewährten Kräuter.
„Agnes,
ich muss mich auf den Weg machen, sonst schaff ich es nicht mehr heim, bevor die
Dunkelheit anbricht“, sagte sie. „Kommst du zurecht?”
Die
junge Frau nickte tapfer. Sie litt darunter, dass ihr Gemahl derzeit viel
unterwegs war, so wie alle Männer des Dorfes. Diese saßen seit Tagen ständig
zusammen, ließen aber nicht darüber verlauten, mit welchen geheimnisvollen
Dingen sie beschäftigt waren.
„Ich
hab ja meine Nachbarinnen, die helfen sicher, wenn was sein sollte”, erwiderte
Agnes.
„Na
dann marschiere ich mal los.” Susannah legte ihren Umhang an.
„Bist
du nicht mit dem Pferd da?”, fragte Agnes.
„Nein,
das hat mein Vater jemandem geliehen. Ich kann ja auch laufen, das macht mir
nichts aus.”
Sie
verabschiedete sich und trat vor die Tür der Hütte. Die Sonne schob sich gerade
als rot glühende Kugel über die Baumwipfel des Sherwood Forests und würde bald
vollständig verschwunden sein. Susannah zog ihren Umhang enger. Sie sollte
schleunigst sehen, dass sie heimkam, sonst würde es bald stockfinster sein.
Eiligen Schrittes ging sie den wohlbekannten Weg entlang. Agnes` Hütte lag am
anderen Ende des Dorfes, dort, wo der Pfad sich teilte und man auch
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