NOVA Science Fiction Magazin 20
ihn angesehen, schon gar nicht
Abt Anselm, der in tiefes Nachdenken versunken schien, und doch hatte er damals
schon geahnt, dass die Wahl auf ihn fallen würde – eine Vorstellung, die sein
Herz mit Furcht erfüllte.
Und
genauso war es gekommen.
Sie
waren zu viert in einem abgeschirmten Besprechungsraum nahe der Bibliothek: Abt
Anselm, Pater Federico, Leiter der Societas
Custodum, Pater Theodorus, der
Superior-Provinzial, und Benedict, dem die Einladung galt. Im Grunde
hätte es der einleitenden Worte des Generalabtes gar nicht bedurft, denn die
Schwierigkeiten, in denen sich der Orden der Heiligen Madonna der letzten Tage
befand, waren den Anwesenden nur zu vertraut.
Das
Vorhaben der künstlichen Intelligenzen war eine Blasphemie, daran bestanden
ebenso wenig Zweifel wie an der moralischen Berechtigung einer Ablehnung des
Angebots. Die entscheidende Frage jedoch, der sie sich stellen mussten, war die
nach den Konsequenzen einer derartigen Entscheidung. Verweigerte sich der
Orden, würden sich andere Interessenten finden, denen moralische oder gar
religiös motivierte Skrupel fern lagen. Das Geschäft mit der Unsterblichkeit
versprach enorme Renditen, wenn man es geschickt genug aufzog. Die Tücken des
Angebots würden kommerzielle Anbieter kaum thematisieren.
Es
bedurfte keiner besonderen Phantasie, sich die HV-Werbespots mit entrückt
lächelnden Teilnehmern realer oder fiktiver Probeaufenthalte im gelobten Land
vorzustellen. Dubiose Jenseits-Vermittler und Sekten würden wie Unkraut aus dem
Boden sprießen mit Angeboten, die von zertifizierten Vorbereitungskursen bis
zum organisierten Gruppen-Selbstmord reichten. Laienprediger und Heilsverkünder
aller Couleur würden insbesondere auf den Kolonialplaneten Anhänger um sich
scharen, um sie in eine bessere Welt zu führen, und schon bald würde sich dort
niemand mehr finden, der für den profanen Lebensunterhalt anstrengende oder
gefährliche Tätigkeiten auf sich nahm. Dringend benötigte Lieferungen von
Rohstoffen und Halbfabrikaten in die Kernwelten würden ausbleiben, ohne dass
Föderationsrat oder Militär auch nur das Geringste dagegen unternehmen konnten.
Chaos und Anarchie waren vorgezeichnet, wenn sich der Einzelne selbst
drakonischen Strafen durch Selbsttötung entziehen konnte, da er ja das Paradies
zu erwarten hatte …
Selbst
wenn sich jemand fand, der die ewige Verdammnis als Folge bewusst unmoralischen
Handelns ins Spiel brachte, würde man ihn vermutlich auslachen. In einer sich
als aufgeklärt gerierenden Gesellschaft, in der fast jede Verirrung nicht nur
geduldet, sondern durch den individuellen Anspruch auf Selbstverwirklichung
legitimiert wurde, war kein Platz für die Hölle. Das versprochenen Paradies
würde man dagegen als eine im Grunde logische Weiterentwicklung bereits
existierender VR-Erlebniswelten ansehen, die schon heute jedermann offen
standen, der sich ein Kortikal-Interface und die entsprechenden
Senseware-Module leisten konnte. Die immer mehr um sich greifende Flucht aus
der Realität war ja eine der Hauptursachen für den gesellschaftlichen
Niedergang insbesondere im Bereich der Kernwelten der Föderation.
Der
freie Markt kannte weder Moral noch Selbstbeschränkung, und so würde das
Jenseits- Projekt der KIs nicht nur das Gegenteil des Beabsichtigten bewirken,
sondern eher früher als später in einem allgemeinen Blutbad enden. Das würde
zwar zunächst keine unmittelbaren Auswirkungen auf Agion Oros und das dort
gehütete kulturelle Erbe der Menschheit haben, gefährdete aber auf längere
Sicht dennoch die Existenzgrundlage des Ordens.
Diese
Gefahren waren natürlich auch den Intelligenzen der Exosphere bekannt.
Wenn ihr ehrgeiziges Projekt Erfolg haben sollte, benötigten sie den Orden als
glaubwürdige religiöse Instanz und Vermittler. Ihr Angebot stellte also kein
Entgegenkommen dar, sondern entsprang reinem Pragmatismus.
Den
Oberen selbst blieb nur die Wahl zwischen Scylla und Charybdis. Lehnten sie das
Angebot ab, hatten sie sich aus religiöser Sicht nichts vorzuwerfen, riskierten
aber, dass die von Menschen bewohnten Welten im Chaos versanken. Nahmen sie es
jedoch aus rein pragmatischen Gründen an, machten sie sich nicht nur der
Blasphemie mitschuldig; sie verrieten alles, was ihnen heilig war, selbst wenn
sie Ihm im Herzen treu blieben.
Den
sorgenvollen Mienen der alten Männer war anzusehen, wie schwer die Last war,
die auf ihren Schultern ruhte. Sie hatten sich Bedenkzeit ausbedungen, um
Weitere Kostenlose Bücher