Novemberasche
Fallschirm nicht ausgelöst hat. In seinem Blut wurde eine hohe Konzentration von Cannabinoiden festgestellt,
er muss also kurz vor seinem Absprung ein Rauschmittel konsumiert haben. Und dann war der Sicherungsautomat auf die falsche
Höhe eingestellt.«
»Moment, Moment. Du sagst also … in Eriks Blut hat man Spuren von Hasch gefunden?«
»Das waren schon keine
Spuren
mehr. Eine gehörige Portion trifft’s eher.«
Die Tür von Sommerkorns Büro ging auf und Barbara steckte den Kopf herein. Sommerkorn deutete ihr, dass er gleich komme, sie
nickte und zeigte nach draußen. Sommerkorn wandte seine Konzentration wieder dem Kollegen von der Ravensburger Polizei zu.
»Ich habe nicht gewusst, dass er Hasch raucht.«
»Hat er auch nicht. Er hat das Zeug gegessen.«
»Gegessen?«
»Ja, Haschkekse. Wir haben Krümel in der Tasche seines Overalls gefunden. Und in der Mittelkonsole seines Wagens. Tja. Was
tut man nicht alles, wenn man verzweifelt ist.«
»Selbstmord?« Sommerkorn wagte kaum die Frage zu formulieren.
Der andere zögerte, bevor er zu einer Antwort ansetzte.
»Für eine Selbstmord-Theorie fehlen uns konkrete Beweise. Kein Brief, auch sonst keinerlei Botschaft. Wir gehen davon aus,
dass es ein Unfall war. Erik Brandauer wollte mit Hilfe dieser Haschkekse wohl einfach nur … vergessen.«
*
Leander Martìns Klassenlehrerin lebte in einer Idylle, die Sommerkorn fast unwirklich erschien. Wer Ferien auf dem Land machen
wollte, war hier jedenfalls genau richtig. Rosemarie Bärlach, ihres Zeichens Studienrätin und Lehrerin für Geschichte und
Deutsch am Karl-Maybach-Gymnasium in Friedrichshafen, hatte sich am Vortag krankgemeldet, und so fuhren die beiden Kommissare
Sommerkorn und Barbara Stern die kleine Straße ins stille Argental. Laimnau lag nicht besonders abseits, und dochwirkte der Ort auf Sommerkorn und Barbara, die beide in der Stadt lebten, wie aus einem Urlaubsprospekt. Die Studienrätin
wohnte im letzten Haus an einer kleinen Stichstraße, die im Navigationssystem des Dienstwagens nicht existierte.
Die Frau, die ihnen nach dem dritten Mal klingeln mit einer Hustensalve die Tür öffnete, war mittelgroß und mittelschlank
und hatte eine gerötete Nase. Es war auf den ersten Blick ersichtlich, dass Frau Bärlach noch eine Weile das Haus – oder besser
noch das Bett – würde hüten müssen.
»Guten Tag, Sommerkorn. Meine Kollegin Barbara Stern. Wie ich Ihnen bereits am Telefon mitteilte, untersuchen wir den Tod
von Leander Martìn.«
Frau Bärlach nickte und zog den Gürtel ihres Bademantels enger.
»Ich kann das immer noch nicht fassen. Ich hätte nie gedacht, dass Leander Drogen nimmt.«
»Wie kommen Sie darauf, dass er Drogen genommen hat?«
Rosemarie Bärlach sah von Sommerkorn zu Barbara. »Hat er nicht? Aber ich dachte …«
»Ja?«
»Dass er an einer Überdosis gestorben sei. Das wird an der Schule erzählt.«
»Und warum hätte Sie das überrascht?«
»Leander hatte so stockkonservative Ansichten. Ich unterrichtete ihn in Deutsch und Geschichte. Alles, was er je von sich
gegeben hat, drückte eine tiefe Missbilligung gegenüber allem aus, was, sagen wir, die Disziplin und Ordnung im Staat stört.«
»Was genau meinen Sie damit?«
»Er war ein wirklich guter Schüler, intelligent … Aber kommen Sie doch bitte herein.«
Rosemarie Bärlach führte die beiden Besucher in ein Wohnzimmer, wo praktische Bedürfnisse über ästhetische Erwägungen den
Sieg errungen hatten. Sie nahmen an einem Tisch Platz, der der Lehrerin offenbar auch als Arbeitsplatz diente.
»Wo war ich gerade … Leander war intelligent, um nicht zu sagen, überdurchschnittlich. Er war stets pünktlich und er missbilligte es, wenn ein
Schüler zu spät kam oder den Unterricht durch Zwischenrufe oder Blödeleien störte. Das ging so weit, dass er …«
Sommerkorn betrachtete die Frau eingehend, den praktischen Kurzhaarschnitt, den dunkelblauen Bademantel, ihr waches Gesicht,
das einen nüchternen Eindruck machte, die braunen Augen, die ruhig, aber betroffen aussahen. Rosemarie Bärlach gehörte sicher
nicht zu den Menschen, die haltlose Behauptungen in die Welt setzten.
»Es ist alles wichtig, was Sie uns über Leander Martìn sagen können.«
Plötzlich wich ihre Betroffenheit einer besonnenen Konzentration. In ihrer Stimme lag nun eine Wachsamkeit, die Sommerkorn
zuvor nicht bemerkt hatte.
»Da gibt es doch etwas, das Sie mir noch nicht gesagt
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