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Novemberasche

Titel: Novemberasche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dtv
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Wilhelm.«
    »Guten Tag. Andreas Sommerkorn hier. Ich rufe an, weil ich einen   …« – wie um Himmels willen nannte man das, Schadensfall wohl kaum!   –, »…   weil ich einen Todesfall melden möchte. Es geht um eine Lebensversicherung, die Herr Erik Brandauer zugunsten meiner Schwester,
     Paula Brandauer, abgeschlossen hat.«
    »Haben Sie die Police-Nummer?«
    Sommerkorn nannte die Nummer und wartete. Es raschelte, dann hörte er, wie die Frau auf eine Tastatur einhackte, dann knackte
     es, und der Hörer wurde wieder aufgenommen.
    »Hallo? Hören Sie, das tut mir leid. Aber da muss ein Irrtum vorliegen.«
    »Ein Irrtum? Inwiefern?«
    »Die Police, um die es geht, ist vor einem Monat gekündigt und die bisher eingezahlte Summe – nach Abzug der Gebühren für
     die vorzeitige Auflösung des Vertrags – ausbezahlt worden.«
    »Was? Mit anderen Worten, meine Schwester bekommt nichts? Und wo ist das Geld?«
    »Tja, das tut mir leid. Aber das Geld wurde bereits ausbezahlt. Wie gesagt.«
    »Wann denn? Und wohin wurde das Geld überwiesen, können Sie mal nachsehen?«
    »Ich darf Ihnen am Telefon keine Informationen dieser Art geben   …«
    »Hören Sie, meine Schwester hat gerade ihren Mann verloren, sie hat zwei kleine Kinder, und es sieht so aus, als ob sie keinerlei
     finanzielle Mittel mehr zur Verfügung hat. Ich bitte Sie lediglich um eine kleine Information.«
    Wieder ein paar Tastenschläge, offenbar hatte die Frau ein Einsehen.
    Plötzlich hörte er sie sagen: »Aber   … Warten Sie einen Moment. Da. Ach ja, da gibt es noch eine Police. Vielleicht hilft Ihnen das ja weiter. Das ist die Nummer.«
     Sie nannte eine Ziffernfolge. »Die Police wurde am fünften Dezember vor drei Jahren von Erik Simon Brandauer abgeschlossen.
     Begünstigte der Police ist allerdings   … Moment mal, ja, ein Kind.«
    Sommerkorn spürte, wie sich die Erleichterung in ihm breitmachte. Also gab es noch eine Police, ausgestellt auf eines der
     beiden Mädchen.
    Die Frau sprach weiter, doch was sie sagte, passte nicht. »…   ausgestellt auf Cheyenne Cameron Brandauer, geboren am dritten März 2006.   Diese Police wurde nicht gekündigt. Sie existiert noch.«
    Die Frau klang erleichtert, ihm doch noch helfen zu können. Als Sommerkorn jedoch nichts sagte, fragte sie: »Hallo? Sind Sie
     noch dran?«
    »Ja   … ja   … Können Sie den Namen noch einmal wiederholen?«
    Die Frau tat ihm den Gefallen und wunderte sich offenbar über seine Reaktion.
    »Cheyenne Cameron Brandauer, geboren am dritten März 2006, wohnhaft in Friedrichshafen, Hofener Straße, bei ihrer Mutter Stella
     Siebert.«
     
    *
     
    Das Mädchen war auf eine altmodische Weise hübsch, hatte himmelblaue Augen und dickes rötlich-blondes Haar, das es zu Zöpfen
     gebunden trug. Es blickte unsicher von Sommerkorn zu Barbara.
    »Hier?«, fragte es und deutete auf einen der beiden Stühle vor dem Pult.
    Sommerkorn und Barbara hatten sich, wie auch schon am Vormittag, in einem leeren Klassenzimmer eingerichtet und dieses in
     einen provisorischen Vernehmungsraum verwandelt.
    Barbara nickte und lächelte ein wenig müde. Die Befragung der Lehrer hatten sie am Vormittag abgeschlossen, ohne jedoch zu
     neuen Erkenntnissen gelangt zu sein. Nach der Mittagspause waren sie an die Schule zurückgekehrt, um Martin Inkat und Hansjörg
     Möller bei der Befragung von Leander Martìns Mitschülern, die an diesem Nachmittag Unterricht hatten, zu unterstützen. Inzwischen
     hatten sie insgesamt bereits mehr als sechzig Personen vernommen, Schüler, Lehrer und den Hausmeister des KMG.   Aber neue Erkenntnisse über Leander Martìn hatten sie so gut wie keine gewonnen. Sie wussten nun lediglich, dass Leander einen
     engen Freund gehabt hatte, mit dem er die Pausen verbracht hatte und wohl auch seine Freizeit. Die Mitschüler hatten sich
     Inkat und Möller gegenüber seltsam wortkarg gezeigt, und diese hatten den Eindruck, dass es da etwas geben musste, etwas hinterdem Bild des disziplinierten Jungen und guten Schülers. Aber immer wenn sie versucht hatten, hinter die Masken der Coolness
     und Lässigkeit der Jugendlichen zu blicken, hatten diese abgeblockt. Auch Barbara und Sommerkorn war bei den Lehrern ein gewisses
     Zögern aufgefallen, ein Eindruck, der sich jedoch bei näherem Nachfragen in nichts auflöste. Vielleicht war es ja ganz einfach
     so, dass es nichts zu entdecken gab, dass Leander im Großen und Ganzen tatsächlich dem Bild entsprochen hatte, das

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