Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Novemberasche

Titel: Novemberasche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dtv
Vom Netzwerk:
befohlen, er solle dorthin
     zurückgehen, wo er hergekommen sei.«
    »Woher ist Liam?«
    »Aus Ghana.«
    »Ist er schwarz?«
    »Was ist denn das für eine Frage? Es spielt doch wohl keine Rolle, welche Hautfarbe er hat.«
    »Tja. Für Leander vielleicht schon   … Wir würden auf jeden Fall gerne mit Liam sprechen.«
    »Das wird kaum möglich sein.«
    »Wieso?«
    »Er ist wieder in seine Heimat zurückgegangen.«
    »Gab es dafür einen besonderen Grund?«
    Die Direktorin sah von einem zum anderen. Sie seufzte.
    »Sie verstehen, dass ich einem gewissen öffentlichen Druck ausgesetzt bin. Als Direktorin eines auf Tradition basierenden
     Instituts, bei dem es in erster Linie darauf ankommt, dass die Eltern auf den erstklassigen Ruf vertrauen können.«
    »Sie können sicher sein, dass nichts von dem, was Sie hier aussagen, weitergegeben wird. – Sofern es nicht unmittelbar mit
     dem Mord zu tun hat.«
    »Liam war kein unbeschriebenes Blatt. Er war bekannt als jemand, der es mit den Regeln nicht so genau nahm. Ein unangenehmer
     Junge. Und dann wurde er im Kurt mit Drogen erwischt.«
    »Im Kurt?«
    »Das ist ein alter blauer Eisenbahnwaggon, eine Art Treffpunkt für die Jugendlichen. Er soll an Kurt Hahn, Gründer des Internats
     Schule Schloss Salem, erinnern. Sehen Sie, als wir Liam dort erwischt haben, zweifelten wir seine Version der Geschichte natürlich
     an. Nur aufgrund von Liams Aussage hätten wir Leander niemals gebeten, die Schule zu verlassen. Aber dann kam eben noch diese
     andere Sache erschwerend hinzu. Und wir mussten handeln.«
     
    ☺
     
    Die Sache mit der Dönerbude halte ich für keine gute Idee. Was kann denn der Türke dafür, dass Matthias’ Vater arbeitslos
     geworden ist? Aber ich werde sie schon noch davon überzeugen,dass es cleverer ist, anders vorzugehen. Wir wollen doch nicht, dass jemand verletzt wird. Opfer müssen wir einkalkulieren,
     sagt ER.   Von selber wird niemand auf etwas verzichten. Veränderungen sind fast immer schmerzhaft. Verzicht sowieso.
     
    *
     
    Sie saß im Weichen Zimmer, und das Licht, das den Raum erfüllte, war rot. Sie hatte den Pfleger gebeten, ihr das Zimmer aufzuschließen,
     in der Hoffnung, dort ganz für sich ihre Gedanken sortieren zu können und irgendeine Form von Klarheit zu erlangen.
    Nun bin ich tatsächlich hier, dachte Paula, in der Klapsmühle, ich sitze auf einem blauen Sofa in einem Zimmer, das sie »weich«
     nennen und dessen Wände bis auf halber Höhe mit einem dickflorigen Teppich bespannt sind. Ein rotes Meer von Blut, dachte
     sie, und dass das Licht wie Feuer darauf brannte.
    Sie hatte die Arme um die Knie geschlungen und sich so hingesetzt, dass sie sowohl den Feuertanz des Sonnenlichts an den Wänden
     als auch die blattlosen Baumriesen vor dem Fenster im Blick hatte.
    Wie war die Welt plötzlich so anders geworden. Von einer Stunde auf die andere hatte ein grausamer Gott ihr Leben mit Pech
     übergossen und von den strahlenden, klaren Farben, den Farben der Liebe und des Wohlstands, war nichts mehr zu sehen. Sie
     waren verborgen unter einer zähen schwarzen Masse, die der Tod war. Paula wusste schon jetzt mit einer Gewissheit, die so
     scharf wie eine Klinge war und in ihr Bewusstsein schnitt, dass die Farben ihres Lebens nie wieder klar und rein würden leuchten
     können, dass der klebrige schwarze Tod – und die Schuld – von nun an auf allem, was sie hatte, auf allem, was sie war, haften
     würde. Es würde nie wieder so sein wie zuvor.
    Wie hatte sie sich nur so irren können! Wie war es möglich, dass alles –
alles
– falsch gewesen war und sie es nicht bemerkt hatte? Sie hatte ihn doch geliebt. Sie hatte geglaubt, dass er dieses Gefühl,
     dieses in ihr so fest und tief verankerte Gefühl der Liebe natürlich erwiderte, in derselben Stärke und Intensität, in der
     sie ihn geliebt hatte und es noch immer tat, über den Tod hinaus. »Bis dass der Tod euch scheidet«, hörte sie sich murmeln
     und stammelte auf einmal lauter: »Lüge, das war eine verdammte Lüge!« Niemand hatte ihr gesagt, dass der Tod so früh käme
     und ihr den geliebten Mann nähme und die Liebe aber bleiben würde. Die Liebe, die nun ins Leere lief.
    Sie wiegte sich schneller. Wie aber sollte sie weiterleben mit dieser Schuld, mit dem Bündel des Scheiterns auf ihren Schultern,
     das sie niederdrückte und so schwer war, dass sie kaum noch Luft bekam? Sie hatte ihn geliebt, sie hatte ihm vertraut, sie
     hatte ihm alles gesagt, ihm jede kleine

Weitere Kostenlose Bücher