Novemberasche
Bildersammlung aufgehängt
und die wenigen Möbel, die sie nach ihrer Trennung aus dem Münchner Penthouse mitgenommen hatte, strategisch günstig im Haus
verteilt.
Aus Stolz und dem Drang, es ganz allein zu schaffen, hatte sie auf alles verzichtet, was Lorenz und sie in den gemeinsamen
Jahren angeschafft hatten. Im Nachhinein betrachtet war das natürlich übertrieben und blöd gewesen, eine Dummheit, die sie
sich gar nicht hatte leisten können. Da sie und Lorenz nicht verheiratet gewesen waren, verlief die Trennung völlig unspektakulär,
was dasFinanzielle betraf. Sie nahm nur das, was ihr auch schon davor gehört hatte. Da sie mehr als fünfzehn Jahre mit diesem Mann
zusammengelebt hatte und noch keine hundert war, beschränkte sich Maries Besitz nun auf ein paar Möbelstücke mit persönlichem
Wert, ihre Malsachen, und ihre Sammlung bizarrer Gemälde. Lorenz hatte sich mit dem Rest und dem Rehlein, wie Marie Lorenz’
letzte außerpartnerschaftliche Beziehung nannte, ein schönes neues Leben eingerichtet. Maries Hauptaufgabe bestand nun darin,
ein finanzielles Gerüst zu schaffen, eine Situation, in der sie in der Lage wäre, hier in ihrem Elternhaus, in das sie nach
der Trennung, nach ihrem ganz persönlichen Schiffbruch, zurückgekehrt war, zu überleben.
Sie schüttete den letzten Schluck Kaffee weg, er musste längst lauwarm sein, stand auf und stellte den Kessel noch einmal
aufs Feuer. Der heutige Tag und diese Gedanken verlangten nach einem weiteren Kaffee. Während sie mit Filter und Tüte hantierte,
fiel ihr Paulas Gesichtsausdruck ein, als der Krankenwagen sie abgeholt hatte, diese unendliche Traurigkeit, ja, die Verzweiflung,
die in ihr Gesicht eingegraben war, und die Tränen, die Paula beim Abschied von den Kleinen übers Gesicht gelaufen waren,
ein endloser Strom von Tränen, der nicht versiegen wollte. Marie hatte Paulas Hand gedrückt und gesagt, sie brauche sich keine
Sorgen zu machen, sie würden alles für Leni und Anna tun, und sie, Paula, solle nur wieder zu Kräften kommen, dann würden
sie es gemeinsam schon schaffen.
Paula war Maries Stütze gewesen in den letzten Monaten, die Einzige, die Marie zur Seite gestanden hatte, die immer wieder
nachgefragt hatte, ihr Sachen gebracht hatte, die sie aufgenommen hatte, als es hier, in diesem einsamen Haus, für sie unerträglich
geworden war. Sie hatte immer wieder angerufen und dafür gesorgt, dass Marie nicht in ihrer Einsamkeit versank. Nun war es
Paula, dieMaries Hilfe brauchte. Was ist das Leben für ein seltsames Spiel! Paula hatte so sicher gewirkt mit ihrer Familie, mit ihrem
Wohlstand, der für Maries Empfinden schon an Reichtum grenzte.
Mit dem frischen Kaffee kehrte Marie zu ihrem Fensterplatz zurück. Sie griff nach einem Block und einem Bleistift, die immer
bereitlagen für den Fall, dass Marie ein genialer Gedanke für ein neues Bild kam, und schrieb »zu erledigen«, unterstrich
die Überschrift zweimal und listete dann alle Punkte auf, die für den Umzug und ganz allgemein zu erledigen waren. Ganz oben
schrieb sie: »Kinder ablenken!« Mittags käme Sommerkorn mit einem Transporter, den er sich von einem Kollegen ausleihen würde,
und sie brächten einen Teil von Paulas Sachen, ein paar Möbel und vor allem Dinge aus den Kinderzimmern zu Marie. Sie hatte
gedacht, Leni und Anna würden die erste Zeit gerne zusammen in einem Zimmer sein, so, wie sie auch die letzte Zeit zusammengerückt
waren. Den gestrigen Nachmittag hatte Marie damit zugebracht, sich Gedanken darüber zu machen, wie sie das Mansardenzimmer,
einen großen, hellen Raum mit teilweise leicht schrägen (und trockenen!) Wänden, für die Kinder herrichten konnte. Sie hatte
sich überlegt, wo sie die Betten hinstellen würde und für die Betthimmel genau Maß genommen. Dann hatte sie ein paar grobe
Skizzen angefertigt: Den Bereich für Leni würde sie als Meerjungfrauenbett mit bunt schillernden Fischen, Seegras und Korallen
gestalten, den anderen als Waldfeenreich mit Blättern, Ranken, bunten Vögeln und Fliegenpilzen.
Das Telefonklingeln riss sie aus ihren Überlegungen.
»Ja?«, antwortete sie vorsichtig. Die Vorkommnisse im Herbst hatten sie gelehrt, dass es nicht schaden konnte, am Telefon
Zurückhaltung zu üben.
»Helen Kattus hier, hallo!«
»Guten Tag«, entgegnete Marie.
»Ich hoffe, ich störe nicht. Um diese Uhrzeit am Sonntag!«
»Jetzt haben Sie ja schon angerufen.« Marie klang
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