Novemberrot
Sandras Alter und deren Vater stellte, blickte Rosi auf und schaute ihn mit weit aufgerissenen Augen an. Dass sie im August dreiundzwanzig geworden sei und dass sie in all den Jahren keinen Vater gebraucht habe, war Rosis knappe und auf Fritz äußerst unterkühlt wirkende Antwort.
Plötzlich krachte es im Hausflur. Aufgeschreckt eilten sie hinaus aus der Küche. Wie befürchtet, war das enorme Gewicht des sperrigen Schreibtisches für die hageren Männer nur schwer zu händeln gewesen. Beim Hinuntertragen glitt dem Vordermann das Möbelstück aus den verschwitzten Händen und es donnerte mit einem lauten Schlag auf den steinernen Fußboden. Bis auf eine hölzerne Seitenabdeckung, die dabei abgefallen war, hatte das antike Stück den Unfall gottlob unbeschadet überstanden .
» Was haben wir denn da?« Einer der erschöpften Käufer hatte sich gebückt und ein kleines, dunkelgrün bedeckeltes Notizbuch aufgehoben, welches er nun neugierig durchblätternd in seinen Händen hielt .
» Darf ich es mal sehen!«, forderte Rosi ruppig dessen Herausgabe. Eingeschüchtert von diesem herrischen Befehl, gab es der Mann ihr sofort .
» Es stammt von meinem Stiefvater. Wie könnte ich je seine Handschrift vergessen!« Fritz, der die ganze Zeit über abseits gestanden hatte, kam als er dies hörte direkt zu ihr und linste von der Seite hinein .
» Hmm, seltsam, es steht eigentlich kaum was darin. Das Einzige, was seit Anfang 1964 bis zu seinem Tode im November 1967 jeden Monat wiederkehrte, war der Eintrag ME 500 Mark .
» Darf ich es mitnehmen, um mir das Teil mal in Ruhe anzusehen?« Kommissar Weller war ganz verpicht darauf, dieses unerwartete Fundstück einer gründlichen Untersuchung zu unterziehen. Er konnte auf die Schnelle zwar nicht abschätzen, ob es überhaupt von einer Bedeutung in den beiden Mordfällen war, aber grundsätzlich war er für selbst den kleinsten Ansatz überaus dankbar. Im Gegensatz zu ihm war Rosi das Büchlein ihres getöteten Stiefvaters völlig egal und sie antwortete gleichgültig .
» Ich brauche es nicht. Mach damit was du willst.« Fritz nickte zum Dank und verabschiedete sich bei Rosi mit der unvermeidlichen Notwendigkeit, dass sie trotz allem den Toten morgen früh noch in der Gerichtsmedizin in Burgstadt identifizieren müsse, was von ihr nur mit einem widerwilligen »Wenns denn unbedingt sein muss« quittiert wurde. Gleich darauf machte er sich auf nach St. Josef, um seinem alten Bekannten Heinzi einen Besuch abzustatten .
» Mensch, genau wie beim alten Kreismüller!« Während der knapp fünfzehnminütigen Fahrt kreisten seine Gedanken immer wieder um Rosis Reaktionen bezüglich der Todesnachricht ihres Stiefbruders .
» Aber dieses Mal lässt du dich nicht von ihr einlullen, so viel steht fest!« Fritz zweifelte, ob er diesen guten Vorsatz tatsächlich ernst meinte. Schließlich hatte er eben wieder am eigenen Leib erfahren, welchen Einfluss ihre bloße Anwesenheit auf ihn immer noch zu haben schien.
Kapitel 6
Es war früher Nachmittag, als Kommissar Weller den Nachtclub in St. Josef erreichte. Dieser befand sich in einer schmalen Seitengasse in Bahnhofsnähe. Im Schaukasten, der rechts neben dem Eingang an der Hauswand befestigt war, wurden neben der Getränkekarte auch Fotografien der aktuellen weiblichen Attraktionen präsentiert. Über der Tür in geschätzten drei Metern Höhe war eine überdimensionale Leuchtreklame angebracht, auf der in schwarzen geschwungenen Lettern der Schriftzug Roxy-Bar und die Silhouette einer unbekleideten Dame prangten. Eine der Neonröhren hatte wohl eine Macke. Der elektronische Starter versuchte andauernd, summend das Licht in der Röhre zu entfachen, mit dem für Fritz nervtötenden Ergebnis des ständigen An- und Ausgehens der Lampe. So öffnete er eilig die wenig einladende graue Metalltür des Lokals und ging an der Garderobe samt Zigarettenautomat vorbei. Er schob den als Windfang gedachten zweigeteilten, aus schwerem, dunkelrotem Stoff bestehenden Vorhang mit beiden Händen auseinander und schritt hindurch. Die drei Stufen hinunter zum eigentlichen Barbereich nahm Weller aufgrund der schummrigen Beleuchtung sehr bedächtig. Rings um die Tanzfläche waren einige Sitzgruppen mit niedrigen Tischen aufgestellt. Dahinter befanden sich zudem ein paar kleinere, mit schilfartigem Sichtschutz verdeckte Nischen. Trotz der spärlichen Beleuchtung erkannte Fritz, dass das im gesamten Fußbodenbereich ausgelegte Parkett reichlich ramponiert war und
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