Nuancen der Lust (German Edition)

kostbare Gegenleistung bekommen – und wieder eingebüßt, dank deiner langen Finger, Yamin – eine Gegenleistung für was, übrigens – weiß es einer von euch?«
    »Nur sehr vage. Für Politik habe ich mich nie so groß interessiert«, murmelte Alicia.
    »Ich denke, Indien hat endlich etwas lang Ersehntes vom Mutterland bekommen; deshalb auch der höchst zeremonielle Besuch der Maharani …«, vermutete der kluge Junge an ihrer Seite.
    »Stimmt«, nickte Mortimer. »Es geht um Technologie – um unsere Sonnenenergieumwandlungsmaschinen, um ganz genau zu sein. Jetzt wird Indien wirtschaftlich gleichberechtigt werden mit dem Mutterland. Oder sogar mehr als das, weil es mehr Sonnenschein hat.«
    Überwältigt schwieg Yamin, während Alicia nur die Achseln zuckte.
    Mortimer rieb sich seine gepflegten, schönen Hände, die viel jünger wirkten als der Rest von ihm.
    »Nun wollen wir aber herausfinden, wie euch die Perle Gewinn bringt. Klar ist, ihr könnt sie weder in eine Londoner Pfandleihe tragen noch einem Hehler in die Hand drücken … ich werde meinen Rechner mit allen Informationen füttern. Habt bitte ein wenig Geduld.«
    »Wie lange wird es dauern?«, fragte Alicia, und das Drängen in ihrer Stimme war nicht zu überhören.
    »Aaron X ist der beste und der schnellste«, sagte Mortimer stolz. »Doch auch er wird ein Stündchen brauchen. Was ist mit dir, liebes Kind, du siehst so blass aus?« Besorgt-liebevoll legte er eine Hand auf Alicias Arm.
    Sie biss sich auf die Lippen. »Es ist so, Mortimer, ich … anders als Yamin bin ich gegen meinen Willen hier. Ich wurde entführt, und ich weiß noch nicht einmal, wann. Und …« Sie gab sich einen Ruck, denn es gehörte Überwindung dazu, auch das diesen beiden ihr fast unbekannten Menschen anzuvertrauen: »Ich habe ein kleines Kind,es ist bei meinem Vater, er hat es mir geraubt, und für mich zählt jetzt jede Stunde.«
    Einen Moment lang blieb es still in dem Kellerraum, vom unablässigen Zischen und Schnauben des Riesenrechners abgesehen.
    »Ich verstehe«, sagte dann der alte Mann nur, in einem Tonfall, der Alicia intuitiv spüren ließ, sie konnte ihm vertrauen.
    Yamins Augen waren groß geworden vor Bewunderung. »Es ist also wirklich wahr? Du bist eine Mutter, Alicia? Das ist phantastisch! Und ist es ein Junge?«
    Sie nickte. »Mein kleiner Sohn Lion, er ist jetzt fast ein Jahr alt.« Sie lächelte ihren indischen Freund an. »Er gilt natürlich als illegitim, weil ich kein braves Eheweib bin … aber für mich ist Lion das Wichtigste auf der Welt.«
    »Kinder, ihr bedürft einer kleinen Stärkung«, verkündete Mortimer und führte die beiden in einen kleinen Nebenraum, dessen Einrichtung mit schäbigen, verblichene Blumendrucksesseln ebenso heruntergekommen wirkte wie der Rest des Kellers, von Aaron X einmal abgesehen.
    Auf dem abgeschabten grauen Kiefernholzbuffet stand eine blitzende Dampfmaschine – danach sah das Ding jedenfalls in Alicias Augen aus.
    »Eine neue Erfindung, Sir?«, rief Yamin begeistert aus.
    »Ja, so ist es. Hier, nimm das.« Und der Greis drückte dem Jungen eine Dose mit duftenden Kaffeebohnen in die Hand. »Füll sie in den Trichter, stelle Becher ans andere Ende und dann drücke diesen blauen Knopf. Wasser ist schon drin.«
    Auf seine schlurfende, gehandicapte Weise begab sich Mortimer wieder nach nebenan zu seinem geliebten Rechner. Er lächelte still in sich hinein, als er die zwei in bewundernde, lachende Rufe ausbrechen hörte.
    Nicht nur, dass man in der wundersamen langgestreckten Kaffeekochmaschine genau verfolgen konnte, wie die Bohnen gemahlen wurden, nein, das unglaubliche Gerät spielte dabei auch noch Musik. Eine verborgene Spieluhr musste darin eingebaut sein, und aus ihr drangen die Töne eines bekannten Kinderliedes.
    Schon nach einer Dreiviertelstunde konnte Mortimer einen Erfolg melden, und er rief seine beiden Schützlinge herüber.
    »Ihr fliegt nach Irland!«, erklärte Mortimer ohne Umschweife, um dann rasch hinzuzufügen: »Ich habe die ideale Lösung gefunden. Ihr bringt die Perle nach Connemara, zur Central Bank of Free Magicians. Dort herrscht äußerste Diskretion, man wird euch keine Fragen stellen, und ihr erhaltet umgehend eine monatliche Rente, mit der ihr zufrieden sein werdet. Denn die Mystische Schwarze Perle der Freiheit ist für die irischen Magier von allerhöchstem Wert. – Hier, eure Flugmarken. Und hier, das Echtheitszertifikat mit Aarons Stempel, der weltweit anerkannt ist. Hier die