Nubila 01: Das Erwachen
sich scheinbar auch nicht an ihre Zeit in den Glaskästen erinnern. Kathleen zuckte zusammen, als einer der Diener gegen die Scheibe sprang, offenbar in dem Versuch nach ihr zu schnappen.
„ War… War ich auch so?“, fragte Kathleen bestürzt.
Dem Mann, der gegen die Scheibe gesprungen war, lief der Geifer aus dem Mund und er wirkte auf Kathleen wie ein tollwütiges Tier.
„ Nun. Du warst dabei vielleicht ein kleines bisschen weniger abstoßend“, räumte Jason ein. „Aber alles in allem, JA. Diese Stufe macht jeder Diener kurz nach der Verwandlung durch. In dieser Stufe seid ihr kaum zu bändigen.“
„ Wir…“, sagte Kathleen und ließ sich das Wort auf der Zunge zergehen. Es schmeckte bitter, weil es gleichzeitig bedeutete: `Ihr´ im Sinne von `nicht ich´. Automatisch fragte Kathleen sich, ob sie vielleicht deshalb hier waren. Wollte Jason ihr beweisen, dass sie anders war? Dass sie nicht so war wie er und es niemals sein würde? Als wenn sie das nicht längst wüsste. Als wenn sie es nicht ständig zu spüren kriegen würde.
„ Geh weiter, Kathleen“, forderte Jason sie auf und Kathleen gehorchte widerstrebend.
Sie ging weiter den Gang entlang und hätte am liebsten die Kreaturen in den Glaskästen gar nicht angesehen. Aber sie schaffte es nicht wegzuschauen. Ihr Blick wurde wie magisch immer wieder zu ihnen hingezogen und ihr Herz zog sich bei dem Anblick der sich ihr erbot zusammen. Je weiter sie den Gang entlang ging, desto rasender schienen die Kreaturen zu werden, doch dann änderte sich plötzlich das Bild. Kathleen stutzte und kam abrupt zum Stehen.
„ Was zum…“, fragte sie und verstummte dann, bevor sie den Satz beenden konnte.
In dem Glaskasten vor ihr saß eine junge Frau mit dunkler Haut und schwarzen langen Haaren. Sie saß stumm in einer Ecke des Kastens und starrte vor sich hin. An ihrem Arm hing eine Kanüle, die zu einem Sammelbehälter führte. Fasziniert und gleichzeitig abgestoßen näherte Kathleen sich dem Kasten. Die junge Frau musste um die 20 sein und als sie Kathleen sah, stand sie auf und kam zu der Scheibe, so weit es der Schlauch in ihrem Arm gestattete. Ihre Augen waren von einem warmen braun und sie schien sich schon seit langem daran gewöhnt zu haben, dass sie in einem gläsernen Käfig lebte.
Kathleen stockte der Atem. Die Tatsache, dass diese Frau eine hohe Pigmentierung in Haut und Haaren aufwies konnte nur eines bedeuten. Entweder war sie eine Herrin, oder ein… ein Mensch.
„ Was soll das, Herr?“, fragte Kathleen an Jason gewandt und riss sich mit Absicht von dem Anblick der Frau los.
„ Du siehst schon ganz richtig“, sagte Jason ruhig. „Das hier ist ein Mensch. Sie wartet auf ihre Verwandlung und dient uns in der Zwischenzeit als Blutlager.“
Kathleen spürte, dass sie begann schneller zu atmen, aber es war ihr egal. So schnell wie sie konnte, lief sie weiter und versuchte nicht auf die Seite zu sehen. Doch wie zuvor, wurde ihr Blick immer wieder zu den Glaskästen zurückgezogen. Und statt besser zu werden, wurde alles immer schlimmer. Jetzt wo Kathleen wusste, dass es sich bei den Kreaturen hinter den Scheiben um Menschen handelte, verspürte sie sofort eine Art Kratzen im Hals. Seitdem sie vor ein paar Wochen diesen erfolglosen Fluchtversuch gemacht hatte, hatte sie keinen einzigen Menschen mehr gesehen. Sie wusste, dass alle sich von den Menschen fernhielten, um Unfälle zu verhindern, aber sie hätte nie erwartet, dass es eine solche Wirkung auf sie haben würde wieder Menschen zu sehen. Sie taten ihr leid. Sie kam sich vor, als wäre sie ein Jagdhund, dessen Mutterinstinkt ihn daran hindert Fuchsjunge zu töten und der sie stattdessen als seine eigenen annimmt.
Langsam verstand Kathleen auch, warum um das Herrenhaus herum Dinge wie Weizen und Kartoffeln angebaut wurden. Die Diener sorgten dafür, dass die Menschen in den Fabriken zu essen bekamen, bis sie alt genug waren, um verwandelt zu werden. Und in der Zwischenzeit wurde den Menschen regelmäßig Blut abgenommen, das wieder als Nahrung für die Herren diente.
Kathleen lief schneller und verfiel schließlich ins Rennen. Je weiter der Gang führte, desto jünger wurden die Menschen hinter den Scheiben und desto verängstigter schienen sie auch zu sein. Aus jungen Erwachsenen wurden Jugendliche und aus Jugendlichen wurden schließlich weinende Kinder, die manchmal auch zu zweit oder zu dritt zusammen gepfercht waren. Ganz am Ende des Ganges befand sich schließlich ein
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