Nuerburghoelle
Stundenkilometer schneller Sprint entlang der Start- und Zielgeraden während einer High-Speed-Fahrt möglich, durch den man die Faszination Geschwindigkeit erfahren würde. Aber darauf war er nun wirklich nicht erpicht. Eigentlich war sein Bedarf an Erlebnissen gedeckt, aber das Wort enthielt ein Teil, das ihn an seine Vergänglichkeit erinnerte: Leben.
Er mochte es lieber langsam statt mit High-Speed, so wie jetzt, als er über die Bundesstraße fuhr und hinter ihm ein Lkw-Fahrer fast verzweifelte. Da werde ich mich auf meine alten Tage doch noch einmal für den Rennsport interessieren, sagte er sich, auch wenn er das langsame Tempo bevorzugte. Was der Mensch doch so alles erlebt während seiner Zeit auf Erden!
Als er, den Hinweisschildern folgend, seinen beziehungsweise ihren Wagen, wie er eingestand, auf dem Parkplatz der Erlebnis-Welt abstellte, staunte er nicht schlecht. Augenscheinlich war er nicht der einzige Interessent, der mitten in der Woche einen Ausflug zum Nürburgring machte. Fast alle Stellplätze waren belegt. Die Information, die er am Rande des Prospekts gelesen hatte, wonach im Jahr rund zwei Millionen Menschen den Nürburgring besuchten, schien wohl nicht zu hoch gegriffen. Es war jedenfalls weitaus mehr los als im seiner Meinung nach geschichtsträchtigsten Ort der Nordeifel, der früheren NS-Ordensburg Vogelsang im neuen Naturpark. Der Normalbürger interessierte sich offenbar mehr für den Motorsport als für die Nazi-Vergangenheit in Deutschland, stellte er nüchtern fest.
Vor ihm stürmte eine Horde froh gelaunter Niederländer, die einem Reisebus entstiegen waren, zur Eintrittskasse der Erlebnis-Welt. Er stellte sich geduldig ans Ende der Schlage und schluckte erschrocken, als er den Eintrittspreis auf dem Schild an der Kasse las. Ganz schön teuer kam ihm der Eintritt vor, multipliziert mit zwei kam schon eine schöne Stange guter alter DM zusammen; er gehörte noch zum Schlag Menschen, die immer noch in die frühere Währung umrechneten und dann über die bisweilen stattlichen Preise staunte. Wären doch auch die Gehälter entsprechend der Preissteigerungen auf den Euro gestiegen, lamentierte nicht nur er. Aber er konnte das Rad der Geschichte nicht zurückdrehen und musste sich mit den finanziellen Gegebenheiten abfinden.
Da er schon einmal hier war, würde er die umgestaltete, erst vor wenigen Wochen eröffnete Erlebnis-Welt auch betreten, sonst hätte er ja gleich in Aachen oder Huppenbroich bleiben können, redete er sich ein. Außerdem hatte sich hinter ihm wieder eine dichte Schlange gebildet, die ihn unaufhörlich nach vorne schob.
Und so löste er die Eintrittskarte.
Nicht nur er, ziemlich alle Besucher in seiner Umgebung zuckten erschrocken zusammen, als plötzlich ohrenbetäubender Motorenlärm erschallte, der nur langsam abebbte, um einem gewaltigen Jubelsturm Platz zu machen. Gleich drei gut gekleidete Männer mit einem gewichtigen Gesichtsausdruck stürzten sich auf Böhnke.
»Glückwunsch!«, sagte der Größte des Trios. »Sie sind der 50.000 Besucher der Erlebnis-Welt Nürburgring nach der Neueröffnung. Wir haben eine Überraschung für Sie, die Sie bestimmt freuen wird.«
In einer Gefühlsmischung aus Verwunderung und Verunsicherung folgte Böhnke den dreien, die ihn zu einem reservierten Ecktisch in einer Cafeteria führten.
»Eigentlich war einer der Holländer vor Ihnen der 50.000 Besucher«, flüsterte einer der Männer, der nach dem Namensschild an dem Revers seines anthrazitfarbenen Anzugs zur Geschäftsleitung der Erlebnis-Welt gehörte. »Aber damit hätte es nur Komplikationen gegeben. Da ist uns eine Einzelperson wie Sie lieber. Sie freuen sich doch? Oder?«
Böhnke nickte. Worüber sollte er sich denn freuen? Erhielt er etwa sein Eintrittsgeld zurück?
Der Geschäftsführer, der laut Namensschild Rogowski hieß, lachte. »Das zwar nicht. Aber ich kann Ihnen versichern, dass dieses Geld gut angelegt ist. Sie bekommen einen Gegenwert, da kann man zu Zeiten der Finanzkrise nur noch staunen. Der Eintritt hat sich für Sie garantiert rentiert.«
Er platzierte sich mit seinen Kollegen und Böhnke vor einer großen Schautafel und grinste, während er dem immer noch perplexen Jubiläumsbesucher einen dicken Briefumschlag überreichte, in eine Kamera. »Sie haben doch bestimmt nichts dagegen, wenn wir diesen großen historischen Moment unseres 50.000 Besuchers mit einem Erinnerungsfoto dokumentieren, Herr …«
»Böhnke, mein Name«, antwortete Böhnke
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