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Nuhr, Dieter

Nuhr, Dieter

Titel: Nuhr, Dieter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nuhr auf Sendung
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wird man leichtgläubig. Ich hätte gleich bemerken müssen,
dass allein in dem Wort Pizza-Service zwei Lügen steckten. Die erste Lüge
verbarg sich in der Bezeichnung »Service«. Nicht dass da zu wenige Angestellte
gewesen wären, auf vier Mitarbeiter kamen exakt vier Gäste. Das Wort »Mitarbeiter«
jedoch war im eigentlichen Sinne nicht zutreffend. Der erste der vier war mit
Gucken beschäftigt, der zweite mit Schauen, der Dritte sah vor sich hin, und
der vierte blickte in der Gegend herum. Einer gab Wortfetzen von sich, die etwa
lauteten wie »purer Stress« oder »eine Hektik«. Nun hat es in Hanau mal eine
Wiederaufbereitungsanlage für Kernbrennstäbe gegeben, vielleicht ist da
irgendwas mutiert? Man weiß es nicht...
    Den Laden verließ ich nach geschlagenen 35 Minuten, tatsächlich
übrigens mit einer Pappschachtel in der Hand, welche die zweite Lüge enthielt:
Pizza. Eine Pizza ist ein knuspriger Teigfladen, kein feuchtwarmer Hefehaufen!
Die Pilze auf der Pizza sahen aus, als wenn sie mühselige Wochen entbehrungsreicher
Flucht aus einer verbeulten Dose hinter sich hätten, die Salami bog sich unter
der Last triefenden Öls, und der Formfleischvorderschinken - auf diese
Textstelle bin besonders stolz, denn ich glaube, es ist das erste Mal, dass der
Begriff »Formfleischvorderschinken« die deutschen Speisekarten verlässt, um
Eingang in die Prosa zu finden -, der Formfleischvorderschinken also war ein
mahnender Lappen schweinischer Sterblichkeit.
    Die mutmaßliche Pizza habe ich umgehend vergraben - als
Mahnmal vor den Toren der ehemaligen Wiederaufbereitungsanlage. Sollte dort
einmal jemand etwas wirklich Schreckliches finden: Nicht an allem ist die
Atomenergie schuld.
     
    Gott, der Richter 21. März 2006
    Was ich wirklich bewundere, sind Menschen mit sehr tiefem
Glauben. Die glauben ganz fest an etwas, auch wenn es dafür keinerlei Beweise
oder auch nur Anhaltspunkte gibt. So sind sie etwa davon überzeugt, dass der
Gott, der uns erschaffen habe, am Ende unseres irdischen Lebens auch wieder
über uns richtet. Ich glaube, diese Idee stammt von einem Juristen, wahrscheinlich
ein Rechtsanwalt.
    Wenn man an so etwas wie ein Jüngstes Gericht glaubt,
sollte man sich am besten bereits vor dem Ableben juristischen Beistand
sichern. Wer weiß, ob es so etwas im Jenseits gibt. Ich werde jedenfalls sofort
eine einstweilige Begnadigung beantragen, nicht gleich für die Ewigkeit, aber
erst einmal vorsorglich für die ersten 3 Millionen Jahre.
    Denn wenn Gott uns so geschaffen hat, wie wir sind, dann
ist er doch auch verantwortlich für seine Schöpfung im juristischen Sinne. Da
kann er mir doch am Ende keine Vorwürfe machen. Er kann sich von mir aus gern
selbst verurteilen. Beim Jüngsten Gericht allerdings verlange ich wenigstens
Bewährung und Anrechnung der Untersuchungshaft. Das wäre dann praktisch die
Zeit in der Kiste, also zwischen Tod und Jüngstem Gericht, das dürfte ja auch
ein paar Millionen Jahre dauern, das ist doch unmenschlich!
    Außerdem gibt es beim Jüngsten Gericht keinen Unterschied
zwischen Richter und Kläger. Das hat doch mit einem fairen Verfahren nichts zu
tun.
    Aber als Allmächtiger kann man sich so etwas leisten. Man
arbeitet sieben Tage, weil man nichts Besseres zu tun hat, dann sagt man sich:
»Es ist gut!« Und dann war es das. Dann wendet man sich eben anderen
Beschäftigungen zu. Das ist nicht das, was ich unter verantwortlichem Denken
verstehe.
    Seitdem wirken im Universum ausschließlich die Naturgesetze.
Und aus den ganzen Protonen, Neutronen und Quarks haben sich Sterne und
Galaxien entwickelt und ein Planet voller Drecksäcke.
    Aber den Schöpfer scheint das nicht wirklich zu interessieren,
sonst würde er sich ja mal blicken lassen. In der Bibel stand ja, dass er
mächtig sauer war über die ganze Entwicklung, aber bitte: Als Allmächtiger muss
man sich auch einmal an die eigene Nase fassen! Sofern man eine hat, das
wissen wir ja nicht. Hat der Schöpfer eine Nase? Gut, wenn er allmächtig ist,
ist das ja seine freie Entscheidung, da könnte er theoretisch sagen: »Heute
mache ich mir mal eine Nase, da habe ich etwas, woran ich mich fassen kann.«
    Ich muss schon sagen: Allmächtig zu sein ist kein
einfacher Job! Ich möchte nicht immer alles machen können, weil man ja dann
auch an allem schuld ist. Das will ich nicht! Ich möchte mich auch mal
zurücklehnen und sagen können: »Mein Gott, wer hat das denn wieder
angestellt?!« Verantwortung kann eine Last sein, vor allem

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