Nuke City
sie immer noch auf einem Bluff bestehen. Das ist sogar fair.« Er richtete den Blick wieder auf das Innere der Wohnung. Hinter dem dunklen Plastiglas der Terrassentür konnte Kyle ein paar vage Gestalten sehen, die offenbar voller Ungeduld warteten. »In der Zwischenzeit unterrichte ich besser meine Frau.«
Kyle nickte, lehnte sich zurück und schloß die Augen in dem Glauben, daß Truman gegangen sei. Er öffnete sie wieder, als er Daniel Trumans kalte Stimme erneut hörte. »Verstehen Sie mich nicht falsch, Mr. Teller - ich will meinen Sohn zurück, und zwar in einem Stück. Und es interessiert mich einen feuchten Drek, wenn ich dabei jemandem auf die Zehen trete.«
»Ich verstehe«, sagte Kyle, und Truman ging zur Terrassentür. Irgend jemand auf der anderen Seite, einer von Trumans Leibwächtern, öffnete sie. Kyle konnte Mrs. Truman und zumindest eine ihrer Töchter auf der anderen Seite erkennen.
Kyle wandte sich an Hanna Uljaken. »Gibt es hier Gästezimmer?«
Sie nickte, und Kyle fand, daß sie ein wenig derangiert aussah. Er fragte sich kurz, ob sie tatsächlich ohnmächtig geworden war, als er plötzlich zu bluten angefangen hatte. »Ich will näher bei der Familie sein.«
»Selbstverständlich«, sagte sie. »Ich kann sofort ein Zimmer vorbereiten lassen und einen Wagen zum Hotel schicken, um Ihre Sachen abzuholen.«
»Danke«, sagte er, »aber die hole ich besser persönlich. Darunter befinden sich auch ein paar Dinge, von denen ich nicht möchte, daß sie jemand anders anrührt.«
»Gut. In fünf Minuten wird unten ein Wagen mit Begleitschutz auf Sie warten.«
»Nein, nicht nötig. Ich muß vorher noch etwas erledigen, und zwar schnell.«
»Der Ritualkreis ist fertig, wie du befohlen hast«, sagte Seeks-the-Moon. »Ich fürchte, ich habe ihnen ein paar Ungelegenheiten bereitet.«
»Tatsächlich?«
Hanna lachte. »Das kann man wohl sagen.«
Kyle seufzte. »Ich will ihn sehen.« Dann folgte er Hanna und Moon in einen Bereich der Wohnung, den Kyle noch nicht kannte.
»Seeks-the-Moon hat das Eßzimmer in Beschlag genommen«, erklärte Hanna. »Das war der einzige Raum, der groß genug für das war, was er tun wollte.« Sie öffnete die Doppeltüren aus dunklem Holz.
Der Raum dahinter war sehr lang und bot einen ungehinderten Ausblick nach Osten auf den See. Er war jedoch kaum breit genug, um den komplizierten, vielschichtigen Kreis darin unterzubringen, der in der Mitte des Zimmers gezogen war. Kyle betrachtete seine drei konzentrischen Ringe und die Dutzende von Zeichen und Symbolen, die ihn ausfüllten, manche astrologischer, manche alchimistischer, aber alle okkulter Art. Dreizehn unangezündete Kerzen umgaben den äußeren Ring, sieben den mittleren und drei den kleinsten, inneren Kreis. Alle Kreise waren in goldenen und silbernen Farben auf den Boden gemalt worden.
Seeks-the-Moon schien stolz auf sein Werk zu sein.
»Sehr beeindruckend«, sagte Kyle, indem er Mantel und Schulterhalfter ablegte und beides auf den Eßzimmertisch legte, der in eine Ecke geschoben und mit Laken abgedeckt worden war. »Und so ungewöhnlich für dich. Ich habe nicht mit dieser Symbolgruppe gerechnet.«
»Vielen Dank«, sagte Seeks-the-Moon. »Ich wußte, er mußte sowohl außerordentlich als auch angenehm für dich sein.«
Kyle nickte. »Dann laß uns anfangen.«
»Du willst dich nicht zuerst ausruhen?« fragte Seeks-the-Moon.
»Gute Idee«, sagte Kyle, als wie zur Erinnerung die Schmerzen in seinem Körper wieder hell aufflackerten. Er sammelte sich und richtete seine konzentrierten magischen Energien nach innen. Seine Wunden waren nicht besonders schwer, aber wenn sie nicht behandelt wurden, behinderten sie ihn vielleicht bei dem Ritual, mit dem er beginnen wollte. Er konnte die Wunden spüren, die Verletzungen, die dem Schaden entsprachen, den sein Geist im Astralraum genommen hatte. Doch es war eben jener Geist, der ihm gestatten würde, sich zu heilen. Tief in ihm, im Zentrum seines Wesens, ruhte sein wahres Selbst, der Kern seiner Existenz. Es war die Essenz von Kyle Tellers Körper und Seele, eine Schablone dessen, was er war und wie er sein sollte. Indem er seine magische Kraft durch dieses Selbst fließen ließ, konnte er seinen Körper erneuern, seine Wunden heilen und sich wieder gesund machen. Genau das tat er, wobei er sich ein paar Minuten Zeit ließ. Es war ein Vorgang, bei dem nichts übereilt werden durfte.
Als er fertig war und sein linkes Bein wieder problemlos sein Gewicht trug,
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