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Nukleus

Nukleus

Titel: Nukleus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claus Cornelius Fischer
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keine Pfanne. Sie beleuchteten eine Küche, die diesen Namen kaum verdiente. Ella sah nur einen Kanister auf dem Boden neben dem Herd und ein Regal. In dem Regal fielen ihr mehrere Utensilien auf, bei deren Anblick ihr sofort unwohl zumute wurde: Zucker, stapelweise Großpackungen starker Erkältungsmittel, Glasröhrchen wie in einem Chemielabor, ein paar Löffel, einige davon schwarz gekokelt – Also doch! –, fehlten nur eine Pfeife und die weißen grobkörnigen Kristallbrocken selbst. Der tickende, zischende Wahnsinn zum Schnupfen oder Rauchen.
    Ella warf einen Blick zurück, kaum eine Sekunde lang, fast nur aus den Augenwinkeln. Hier ist was für euch, sagte der Blick, der Hagen und den Feuerwehrmännern galt. Sie ging weiter, jetzt noch langsamer. Versuchte zu erkennen, was am Ende des Korridors war. Achtete auf die Wellen im Läufer, auf die nächste Tür, auf den kleinsten Laut. Vorsicht, paranoider Junkie, dachte sie.
    Der fahle Schimmer am Ende des Gangs war so schwach – nur ein winziger bläulicher Punkt –, dass sie ihn zunächst gar nicht wahrnahm. Auf ihrer Hornhaut glühte noch die ringförmige Herdplatte. Sie stieß mit dem Fuß gegen einen harten Gegenstand, und als sie nach unten sah, stand da ein weiterer Kanister. Auf einmal war ihr, als würde sie Benzin riechen, aber sie blieb nicht stehen. Sie zwang sich weiterzugehen, und da waren die Türen und dahinter die Räume, die Vorhänge zugezogen – Sie sind da draußen, sie beobachten mich –, und obwohl es sich um eine klare Folge von Ereignissen handelte, schien plötzlich alles gleichzeitig abzulaufen.
    Der unheimliche, fahle Lichtpunkt bewegte sich, wie in Zeitlupe. Sekundenkurz gesellte sich ein Blinken dazu, aber noch immer konnte Ella nicht erkennen, um was es sich handelte. Auf einmal hatte sie Angst. Seltsamerweise spürte sie diese Angst nicht in sich, sie wusste nur, dass sie da war. Sie hing wie Nebel in dem Korridor, nicht ganz so schwarz an den Rändern, zur Mitte hin aber fast undurchdringlich.
    »Was ist das?«, flüsterte Sascha dicht hinter ihr. Er hatte auch Angst. »Siehst du das, da vorn?«
    Sie nickte, war aber nicht sicher, ob ihr Kopf ihr gehorchte. Sie ging in die Angst hinein, die sich jetzt kalt um sie schloss. Der Holzboden knarrte unter ihren Füßen. Weit entfernt, unten auf der Straße, fuhr ein Auto vorbei, der Motor wurde mehrmals hochgejagt, Reifen quietschten. In unmittelbarer Nähe knackte ein Rohr, und das Zischen der Gasflammen hörte immer noch nicht auf.
    Warum stellen die es nicht endlich ab?
    Ella lauschte. Hielt den Atem an und wünschte, ihr Herz wäre nicht so laut. Sie ging mit leicht schräg geneigtem Kopf auf den nur allmäh lich größer werdenden bläulichen Fleck zu. Und dann, ganz plötzlich, hörte sie das, worauf sie schon die ganze Zeit unbewusst gewartet hatte. Im selben Moment erkannte sie, was sie bisher nur wahrgenommen, aber nicht einzuordnen gewusst hatte.
    Sie hörte einen Menschen atmen.
    Sie erkannte, dass der bläuliche Fleck ein Gesicht war. Ein Gesicht im Dunkeln, erhellt vom Widerschein eines Handy-Displays, noch weit weg, am Ende des Korridors. Es sah ihr entgegen, verzerrt zu etwas, das gar nicht mehr wie das Antlitz eines Menschen wirkte.
    »Herr Kornack?«, sagte Ella.
    Die Zeit, die sich gedehnt hatte, schnellte wieder zusammen, und dabei verursachte sie ein Geräusch, das Ella jäh bis in die Eingeweide schoss. Es klang wie der Schrei eines riesigen tropischen Vogels in undurchdringlichen Urwaldtiefen, ein Schrei, der lauter und lauter wurde.
    Der Sanitäter war barfuß. Er trug keine Schuhe und keine Hose und auch kein Hemd. Nur eine durchgeschwitzte Unterhose und ein schweißfleckiges Unterhemd flatterten an seinem abgemagerten Körper, als er mit diesem einen langen, schrecklichen Schrei aus der Finsternis auf Ella zustürzte, das Handy in der vorgestreckten rechten Hand. An seinem Hals blinkte das kleine silberne Kreuz.
    Sie sah das alles in einer einzigen Sekunde, seine bleiche feuchte Haut, die wirren nassen Haare, die blutunterlaufenen Augen, den weit aufgerissenen Mund, während er mit der vorgestreckten Handykamera heranschoss wie von einem Katapult geschleudert, und sie dachte: Die Fratze in dem Graffito unten an der Mauer, und dann war er so nah, dass sie das Benzin riechen und seine vom Meth pelzigen Zähne sehen konnte.
    »Zur Seite!« Hagen, die gezogene Dienstpistole in einer Hand, war plötzlich hinter ihr und packte ihre Schulter und riss oder stieß sie

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