Null-Null-Siebzig: Agent an Bord: Kriminalroman (German Edition)
»Merkwürdig. Hoffen wir, dass da nicht noch mehr nachkommt.«
Kapitel 15
Als sie aus dem Raucherraum in den Pub traten, bot sich ihnen ein völlig anderes Bild als zuvor: Phyllis, Sheila und der Kapitän waren nicht mehr da, dafür schritt der Schiffsgeistliche im Messgewand mit ausgestreckten Armen auf sie zu und reichte Jeremy und James zwei Gesangbücher. »Wie schön, dass Sie zu unserer Messfeier gekommen sind!«
James sah sich im Pub um. Die Tische waren zur Seite geschoben, und die Stühle standen ordentlich in Reih und Glied. Vereinzelt saßen Besucher darauf, als gebe es ein ungeschriebenes Gesetz, immer einen Stuhl Abstand zwischen sich und dem Nachbarn zu halten. Die ersten beiden Reihen waren völlig frei.
Jeremy ignorierte das dargebotene Gesangbuch und sah auf die Uhr. »Tut mir leid, keine Zeit.« Er nickte James zu. »Es gibt Wichtigeres zu tun.«
Doch James nahm das Gesangbuch entgegen. »Hoffen wir«, sagte er ironisch zu Jeremy, »dass Sie nicht eines Tages an die Himmelspforte klopfen und der liebe Gott diesen Satz zu Ihnen sagt.«
Jeremy wandte sich kopfschüttelnd ab und verließ den Pub, seinen Mahagoni-Stock wie ein drittes Bein aufsetzend.
Joseph Sutcliffe nickte anerkennend. »Bravo. Es ist wunderbar, wenn jemand so offen und direkt ausspricht, waser denkt. Besonders, wenn es das ist, was ich selbst gerade denke, aber aus verschiedenen Gründen nicht sagen kann.« Er deutete auf sein Messgewand.
James sah sich im Pub um. »Ich habe Durst. Wo steckt eigentlich die Bedienung?«
Joseph Sutcliffe seufzte. »Vergessen Sie, was ich gerade über offene Meinungsäußerung gesagt habe.«
»Wollen Sie damit andeuten, dass während der Messe nicht bedient wird?«
»Genau. Dies ist ein Gottesdienst, kein Revuetheater. Die Bedienung hat jetzt Pause. Aber wenn Sie brav sind, schön aufpassen und gut mitsingen«, sagte Joseph Sutcliffe lächelnd und beugte sich näher zu James, wobei er seine Stimme senkte, »bekommen Sie zur Belohnung einen ordentlichen Schluck Wein von mir gratis.«
»Whisky wäre mir lieber.«
Joseph Sutcliffe verdrehte die Augen zum Himmel, dann ging er nach vorn und ließ den Blick wohlgefällig über die kleine Gemeinde schweifen. »Herzlich willkommen.« Er machte das Kreuzzeichen: »Wir feiern unseren Gottesdienst im Namen Gott des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.« Er breitete die Hände aus: »Der Herr sei mit euch.«
Einige Teilnehmer murmelten etwas, das James nicht verstehen konnte. »Der Herr erbarme sich unser«, fuhr Joseph Sutcliffe fort, »er nehme von uns Sünde und Schuld, damit wir mit reinem Herzen diese Feier begehen. Amen.« Daraufhin ertönte Orgelmusik, und ein melodiöser Singsang erklang: »Herr, erbarme dich unser. Christus, erbarme dich unser. Herr, erbarme dich unser.«
James sah zum Keyboard, das man neben dem Tresenaufgestellt hatte, und erkannte in dem jungen Mann, der die Messfeier musikalisch begleitete, den Japaner, der in der Observation Lounge bedient hatte. Als die Musik verklungen war, trat eine Frau nach vorn und klappte ihre Bibel mithilfe des Lesebändchens auf.
»Lesung aus dem Lukasevangelium.« Sie räusperte sich ohne aufzusehen und las weiter: »›Und es begab sich an der Tage einem, dass er in ein Schiff trat samt seinen Jüngern; und er sprach zu ihnen: Lasst uns über den See fahren. Und sie stießen vom Lande. Und da sie fuhren, schlief er ein. Und es kam ein Windwirbel auf den See, und die Wellen füllten das Schiff, und sie standen in großer Gefahr. Da traten sie zu ihm und weckten ihn auf und sprachen: Meister, Meister, wir verderben! Da stand er auf und bedrohte den Wind und die Wogen des Wassers; und es ließ ab, und es ward eine Stille. Er sprach aber zu ihnen: Wo ist euer Glaube? Sie fürchteten sich aber und verwunderten sich und sprachen untereinander: Wer ist dieser? Selbst dem Wind und dem Wasser gebietet er, und sie sind ihm gehorsam.‹« Die Frau klappte die Bibel zu, sah auf und schloss mit dem Satz: »Wort des lebendigen Gottes.«
Dann ging sie zu ihrem Platz zurück, und Joseph Sutcliffe, der sich während der Lesung neben James gesetzt hatte, trat nach vorn und begann mit seiner Predigt: »Es ist wohl keiner unter uns, der diese Jünger nicht verstehen könnte. Sie sitzen im Boot, ein fürchterlicher Sturm kommt auf, sie bangen um ihr Leben. Und was tut Jesus?« Joseph Sutcliffe machte eine Pause und blickte reihum, als würde er eine Antwort erwarten. James fühlte sich an
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