Null-Null-Siebzig - Operation Eaglehurst
»Vertrauen in andere Menschen zu setzen gehört nicht gerade zu den Stärken meines Berufsstandes.«
Dr. Goats Lachen platzte wie eine Kaugummiblase aus ihm heraus und gab einen kurzen Blick auf den liebenswürdigen,albernen Jungen frei, der er einmal war, bevor die Effizienz die Oberhand gewonnen hatte.
»Na schön«, sagte James und machte den Mund auf. Dr. Goat streute vorsichtig drei Kügelchen auf James’ Zunge. »Die sind übrigens geschüttelt, nicht gerührt«, sagte er und grinste jungenhaft. Dann wurde er wieder ernst. »Im Mund zergehen lassen, nicht kauen oder runterschlucken«, befahl er. »Ich gebe Ihnen noch ein Fläschchen mit einigen Kügelchen mit, Sie nehmen nach fünfzehn und nach dreißig Minuten jeweils drei Kügelchen und berichten mir morgen, wie sie gewirkt haben. Alles klar?«
James nickte. Er zog das kleine Fläschchen mit dem Möwengift aus der Tasche. »Sehen Sie einmal, dieses Medikament habe ich im Flügel gefunden.«
Dr. Goat sah ihn verständnislos an. Er hatte offensichtlich keine Beziehung zu Musik. »Im Flügel?«
»In dem Klavier, das unten im Salon steht«, erklärte James. »Ich habe heute Morgen darauf gespielt, und in einem Fach des Klaviers war dieses Fläschchen verborgen. Wahrscheinlich hat William Morat es dort hineingetan. Er hat, wie ich gehört habe, immer auf dem Flügel gespielt.«
Dr. Goat nickte nachdenklich und streckte die Hand aus. »Zeigen Sie mal her.« James übergab ihm das Fläschchen, und Dr. Goat studierte das Etikett. »Das ist seltsam«, sagte er. »Das ist tatsächlich eines der Fläschchen, die ich verschreibe, aber von mir hat er es nicht. Er war nicht bei mir in homöopathischer Behandlung.« Er schüttelte missbilligend den Kopf. »Wahrscheinlich hat er es von jemand anderem, der gesagt hat, Junge, das hat bei mir super gewirkt, versuch es doch auch mal. Gerade bei homöopathischer Medizin ist es aber nicht so, dass das, was beim einen wirkt, auch beim anderen wirkt. Doch man redet sich den Mund fusselig, manche sind immer schlauer als derArzt. Wie gesagt, die menschliche Dummheit ist grenzenlos.« Er stellte das Fläschchen zu den anderen in den Medizinschrank.«
»Geben Sie es mir bitte zurück, Dr. Goat«, sagte James, das Fläschchen nicht aus den Augen lassend.
»Warum? Es nützt Ihnen nicht die Bohne.«
»Trotzdem.«
»Wie Sie wollen«, sagte Dr. Goat kurz angebunden und sah auf seine Armbanduhr. »Kommen Sie dann am besten morgen früh in die Sprechstunde.«
»Dr. Goat, eine Frage noch. Was halten Sie von Sterbehilfe?«
Der Arzt sah ihm in die Augen. »Wie meinen Sie das?«
»Was halten Sie von aktiver Sterbehilfe?«
»Ich bin Arzt, was soll die Frage. Natürlich lehne ich sie ab.«
»Sie lehnen es also ab, das Leiden eines Patienten zu beenden, der dem sicheren Tod entgegengeht und sich selbst nicht helfen kann?«
»Ich würde selbstverständlich helfen, das ist mein Beruf, aber wie Sie wahrscheinlich wissen, zielt die ärztliche Hilfe in solchen Fällen auf Schmerztherapie ab. Wir versuchen, das Leiden so gering wie möglich zu halten. Dass hohe Dosierungen von Morphinen auch de facto mit einer gewissen Verkürzung der Lebenszeit einhergehen können, ist ein Effekt, der toleriert wird. Mehr jedoch kommt nicht infrage.«
»Sie haben eine klare Meinung dazu.«
»Sonst könnte ich meinen Beruf nicht ausüben. Weshalb die Frage?«
»Teilt Mrs White eigentlich Ihre Auffassung?«, antwortete James mit einer Gegenfrage. »Oder halten Sie es für möglich, dass Mrs White eine andere Meinung über Sterbehilfe hat?«
»Was zum Teufel wollen Sie damit andeuten? Mein Gott, Mr Gerald, seitdem Sie hier sind, machen Sie die arme MrsWhite ganz nervös. Dass dieser unsympathische Inspektor schon wieder hier aufgetaucht ist, das haben wir wohl auch Ihnen zu verdanken, oder nicht? Er scheint ja ein alter Freund von Ihnen zu sein.«
Langsam ging es James auf die Nerven, dass jeder hier anzunehmen schien, Rupert und er seien die besten Freunde. »Wieso sagten Sie, dass Ruthersford
schon wieder
hier aufgetaucht ist? War er vorher schon einmal hier?«
»Ja. Es ist über ein Jahr her. Eine ärgerliche Sache. Eine Bewohnerin war gestorben, und ich hatte auf dem Totenschein als Todesursache ›Leberversagen‹ angegeben. Was ich damals noch nicht wusste, war, dass das automatisch eine Obduktion zur Folge hat. Und dann kam dieser penetrante Kerl und behandelte Mrs White, als hätte sie höchstpersönlich die arme Mrs
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