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Null

Null

Titel: Null Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Adam Fawer
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gern», sagte Doc, und seine Stimme nahm den beschwichtigenden Tonfall an, mit dem man geistig labile Personen anspricht. «Ich zahle nur noch schnell die Rechnung, und dann gehen wir. Einverstanden?»
    Caine schüttelte den Kopf. «Nein. Wir müssen hier sofort weg!», rief er, wissend, dass – ja, das war das richtige Wort, nicht wahr? –
wissend
. Denn er wusste, irgendwie wusste er, dass sie mit 94,734 1-prozentiger Wahrscheinlichkeit nur noch zehn Sekunden zu leben hatten.
    «Immer schön locker bleiben», sagte der Mann mit der Fliege und verzog die Nase. «Sie machen hier ja eine Szene.»
    Caine schloss die Augen und versuchte nachzudenken. Alles war so verwirrend, so durcheinander. Hatte er einen schizophrenen Schub? Es kam ihm alles ganz real vor, aber Jasper hatte ja gesagt, dass es so sein würde. Dennoch verrieten ihm die Schreie in seinem Hirn, dass ihm jetzt nicht einmal mehr fünf Sekunden blieben. Im Bruchteil einer Sekunde traf Caine eine Entscheidung. Er öffnete die Augen und stand auf.
    Noch vier Sekunden.
    Er packte die beiden Wissenschaftler bei den Armen. Er riss sie hoch.
    Drei Sekunden.
    Caine ging einen Schritt nach hinten und prallte dabei mit jemandem zusammen –
    …
    Sie ist Kellnerin, sie heißt Helen Bogarty, sie wohnt in einem fünfstöckigen Mietshaus in der Thirteenth Street, sie beschließt, ein kleines chinesisches Mädchen zu adoptieren.
    …
    – riss Doc und seinen Kollegen mit sich.
    Zwei.
    «Hey!», rief die Kellnerin, und vier Kaffeebecher aus Porzellan fielen krachend zu Boden. Caine kümmerte sich nicht darum. Nach dem Unfall würde auch sie sich nicht mehr darum kümmern.
    «Runter!», schrie Caine und riss sie alle zu Boden.
    Eins.
    Die Luft war erfüllt von Lärm – von Metall und fliegenden Glassplittern. Caine sah das nicht, denn er hatte die Augen zugekniffen, aber er wusste es. Er konnte sichdie Szene vorstellen, als wäre es ein Filmausschnitt, den er schon tausendmal gesehen hatte. Die abertausend – 19   483, um genau zu sein – Glassplitter in der Luft, der Kühlergrill des Chevrolet Silverado Z71, der durch das Loch ragte, ihr Tisch unter den Reifen zerdrückt, zerstört, als der Pickup herniederstürzte, nachdem er am Bordstein abgehoben hatte.
    Und dann änderte sich alles. Alles war mit einem Mal anders. Die Glassplitter nahmen andere Flugbahnen, als sie sich aus dem weichen Fleisch lösten, in das sie sich zuvor gegraben hatten. Bloß dass es nicht zuvor war. Es war jetzt. Aber nicht
dieses
Jetzt. Ein anderes Jetzt. Ein Jetzt, das geschehen wäre, aber nicht geschehen war.
    In diesem Moment wurde Caine ohnmächtig. Wenn er während der ersten Sekunde seiner Bewusstlosigkeit noch empfindungsfähig gewesen wäre, hätte er alles verstanden. Aber das war er nicht, und daher spürte er nichts – und das war gut so   … vorläufig.
     
    Rauch.
    Das war das Erste, was Caine wahrnahm, als er wieder zu sich kam. Der Rauch brannte ihm in der Lunge und in den Augen. Er spürte die Hitze rund um sich herum. Dann nahm er wahr, dass jemand ihn durch das zog, was von dem Restaurant noch übrig war. Als sein Retter ihn auf dem Boden absetzte, sah er Licht durch die geschlossenen Lider, und die Luft war kühl und sauber.
    Caine sog vorsichtig Luft ein und stellte erleichtert fest, dass er wieder atmen konnte. Er hustete und atmete gierig die frische Luft ein.
    «David, ist alles in Ordnung mit Ihnen?»
    Caine sah blinzelnd zu dem Umriss hoch, der vor ihm aufragte. Es war Doc. «Ja, ich glaube schon.» Doc streckteeine Hand aus und half ihm sich aufzusetzen. Caine sah sich um. Er konnte den Mann mit der Fliege nirgends entdecken. «Wo ist   …?»
    «Es geht mir gut», sagte Docs Kollege und kam herbei. «Das habe ich Ihnen zu verdanken.»
    «Was?» Caine schwirrte immer noch der Kopf.
    «Wenn Sie uns nicht weggerissen hätten, hätte der Wagen uns zerquetscht.» Der Wissenschaftler neigte den Kopf ein wenig und senkte die Stimme. «Woher wussten Sie das?»
    Caine starrte ihn an; sein Haar war in Unordnung, und sein maßgeschneidertes Tweedsakko war übel angesengt. Caine wusste nicht, was er sagen sollte. Er schloss die Augen, versuchte sich zu erinnern. Die Bilder, die ihm in den Sinn kamen, waren ein einziges Durcheinander, zusammengeschnitten wie ein schlechtes Musikvideo. Ketchup. Blut. Glas. Pickup. Tod.
    «Ich   … ich weiß nicht», sagte Caine. Plötzlich war ihm zum Kotzen zumute. Er rappelte sich hoch. Als er das Sirenengeheul hörte, beschloss er,

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