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Nullpunkt

Nullpunkt

Titel: Nullpunkt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lincoln Child
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mindestens so lang wie ein junges Pferd. Die Rückenlinie verjüngte sich von massigen Schultern zu stämmigen, kraftvollen und derb behaarten Hüften. Beinahe unwillig richtete Kari den Blick wieder auf das Maul mit den furchteinflößenden Fängen und den zahllosen, unaussprechlich grauenhaften Barten dahinter. Sie drohte vor Angst ohnmächtig zu werden, als sie bemerkte, dass die Barten sich bewegten, als hätten sie ein Eigenleben.
    Der Schmerz in Karis Schädel nahm ungeahnte Dimensionen an, und das Herz schlug ihr bis zum Hals. Trotzdem vermochte sie nicht zu fliehen. Sie konnte sich nicht einmal rühren. Sie war wie vom Donner gerührt.
    Die Kreatur hielt erneut inne, in geduckter Haltung, höchstens zehn oder zwölf Meter von ihnen entfernt. Während der ganzen Zeit blinzelte sie nicht ein einziges Mal und drehte auch den Kopf nicht eine Sekunde zur Seite. Die Augen des Wesens wirkten hart wie Stein, und sie brannten in einem unergründlichen, wilden Feuer.
    Das Monster verharrte vielleicht eine Minute lang vollkommen reglos. Das einzige Geräusch war das leise Surren von Contis Kamera, zusammen mit Karis gepresstem Atmen. Dann setzte sich das Wesen erneut in Bewegung und kroch weiter auf die drei Menschen zu.
    Das war zu viel für Wolff. Sein Gewehr fiel scheppernd zu Boden, als er mit einem leisen Stöhnen herumwirbelte und Hals über Kopf durch den Korridor flüchtete.
    Die Kreatur stockte ein weiteres Mal, diesmal nicht ganz so lang. Eine schmale, gespaltene Zunge schnellte unter den Barten hervor aus dem Maul. Sie wurde länger und länger und leckte zuerst über den einen, dann über den andern Hauer.
    In diesem Moment schienen Conti die Nerven durchzugehen. Er begann zu lachen, ganz leise zuerst, dann lauter. Zumindest dachte Kari in ihrer entsetzten Angststarre, dass es ein Lachen sein musste: ein hohes, eigenartig schrilles Geräusch.
    «Eeeeeee …»,
gurrte Conti, lauter und lauter werdend, und die Kamera neigte sich nach vorn, während seine Schultern bebten.
«Eeeeeee …»
    «Emilio!», flüsterte Kari.
    «Ich hab’s!», jauchzte Conti beinahe hysterisch. «Ich hab’s im Kasten!
Ich hab’s im Kasten! Eeeeeee …
»
    Mit zwei Sätzen war die Kreatur über ihm und schleuderte ihn mit einem wuchtigen Kopfstoß in die Luft. Die Kamerasegelte davon, prallte gegen eine Wand und zerbarst in tausend Teile. Die Kreatur fing Conti zwischen den gewaltigen Tatzen auf und begann ihn um die eigene Längsachse zu drehen wie ein in eine Drehbank eingespanntes Werkstück, während die zuckenden, messerscharfen, spitzen Barten ihn von oben bis unten bearbeiteten wie einen gegrillten Maiskolben. Blut und Gewebefetzen spritzten in alle Richtungen und sprenkelten die Wände in hellem Rot. Die getroffenen Glühlampen brannten zischend durch. Contis irres Lachen verwandelte sich in einen schriller werdenden, überraschten und dann panischen Schmerzensschrei, der abrupt endete, als die Kreatur den Kopf des Regisseurs in ihr Maul nahm und zubiss. Es gab ein dumpfes, knirschendes Geräusch, und dann öffnete die Bestie das Maul wieder. Conti fiel schlaff und reglos zu Boden. Das war der Augenblick, in dem Kari ihre Beine wiederfand. Sie rannte los, vorbei an Conti und der albtraumhaften, über dem Regisseur kauernden Kreatur, ungeachtet der Dunkelheit, ungeachtet irgendwelcher Hindernisse in ihrem Weg. Und während sie durch den langen, von Schatten heimgesuchten Korridor davonrannte, weg von dem irren Wahnsinn, begann Conti wieder Geräusche zu machen: kein irres Lachen und keine Schreie mehr, sondern laute, berstende Geräusche, das Knacken brechender Knochen …

49
    Als Marshall mit der schwarzen Metallbox in der Hand den Kontrollraum betrat, sah er Logan und Sully hinter der Glaswand im Studio über einem kleinen Karren aus rostfreiem Edelstahl. Der Apparat darauf ließ seinen Optimismus schwinden. Er sah mehr nach einer Konstruktion aus einem Metallbaukasten aus als nach einer Waffe, mit der man ein Zwei-Tonnen-Monster erlegen konnte. Auf der oberen Platine befand sich ein kleiner Wald von primitiven Bauteilen: Potentiometer, Spannungsfilter, Niederfrequenz-Oszillatoren, Schieberegler und Transistoren, alle miteinander verbunden durch ein Wirrwarr vielfarbener Drähte. Auf der unteren Platine saß ein antiker Röhrenverstärker, der durch dicke Kupferkabel mit einem Bass- und einem Hochtonlautsprecher verbunden war.
    Die Gruppe hatte die letzten dreißig Minuten damit verbracht, Kisten aufzubrechen und

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