Nummer Drei: Thriller (German Edition)
Campbell. Zugriff.«
Nein, denke ich. Bitte, nein. Nicht Kanal 71 !
Es spielt natürlich keine Rolle, dass es gerade Kanal 71 ist. Es könnte jeder andere sein. Trotzdem, ich weiß, was dies bedeutet. Ich weiß es, weil es nicht Kanal 16 ist, denn das ist der Kanal, den die Piraten benutzen und überwachen. Es hätte jeder andere Kanal zwischen 1 und 100 sein können, nur eben nicht Kanal 16 , und mir wären dieselben Eisfinger in den Rücken gefahren und hätten mich umklammert.
Irgendwie ist mir sofort klar, dass diese Zahl für mich von nun an eine besondere Bedeutung haben wird, ob ich nun einen Flug buche, in dem die Zahl 71 vorkommt, ob ich die 71 auf meinem Handy wähle, weil sie zufällig in der Nummer meines Gesprächspartners vorkommt, ob ich mir beim Bäcker, im Supermarkt oder an irgendeinem anderen unwichtigen Ort in der Welt, die ich Heimat genannt habe, eine Quittung geben lasse, auf der die Zahl 71 erscheint.
Der Kapitän wiederholt den Befehl.
»Flieger Eins, Zugriff!«
Der Hubschrauber, der schon auf dem Rückweg zum Zerstörer war, wendet und liegt einen Augenblick lang schräg in der Luft. Der Lärm erinnert mich an einen mächtigen Herzschlag, und wir ducken uns, als er die Luft auf uns herunterdrückt. Dann fliegt er zum Strand. Der Hubschrauber ist schnell, aber er ist auch langsam, denn ich fühle mit, was geschieht. Ich habe es dem Befehl entnommen und will, dass es nicht so weit kommt.
Natürlich kann ich es nicht verhindern.
Der Hubschrauber schwebt über dem Sand, die Pick-ups halten auf die Dünen zu, als wären sie fliehende Tiere, auf die der Schatten eines Falken fällt. Einen verrückten Moment lang denke ich sogar, sie könnten entkommen.
Ich sehe das Mündungsfeuer, ehe ich die große Kanone des Hubschraubers höre. Ich denke an Blitze, denn so sieht es doch aus, oder? Der Donner kommt erst eine Weile nach dem Blitz, nachdem der Himmel sich auf die Erde gestürzt hat. Erst sieht man die Zerstörung, dann hört man sie.
Die Geschosse rasen als brennender gelber Strom aus dem Hubschrauber und wirken dabei wie die Streifen, die sichtbar werden, wenn man eine Wunderkerze an den Augen vorbeischwenkt. Sie treffen einen Pick-up, der fliehen wollte und nicht schnell genug war. Ich weiß sofort, dass es der Truck ist, in den Farouz eingestiegen ist. Ich habe seinen Umriss und seine Schultern bemerkt, als er sich auf den Rücksitz zwängte.
»Das Geld, ihr verdammten Idioten!«, ruft Jerry, der Verhandlungsführer. »Das Geld!«
Niemand hört auf ihn.
Flammen schießen empor, die schwarzen Streben und die Seitenscheiben bleiben wie bei einer Röntgenaufnahme im Feuerball sichtbar, als der ganze Truck in die Luft fliegt, im Sand aufschlägt und liegen bleibt.
Erst später höre ich es auch. Die Explosion scheint trotz der Entfernung sogar den Zerstörer im Meer zu erschüttern, obwohl es keine Dünung gibt.
Dann wird der zweite Truck getroffen. Er schleudert, die Reifen sind zerstört, er überschlägt sich, rollt ein Stück weiter.
Dad nimmt den Arm von meiner Schulter. Ich frage mich, ob ich im Leben noch irgendwann irgendetwas fühlen werde. Dort am Strand, knapp einen Kilometer entfernt, steht der Pick-up in Flammen. Es läuft ab wie ein billiger Actionfilm. Der Truck, Farouz, das Geld, alles fliegt dort in die Luft und geht in der dicken schwarzen Rauchwolke auf, die in dem grausamen Wüstenwind Somalias hin und her flattert.
Ich erinnere mich an Farouz, wie er den Rauch einatmete, wie er die Sterne vom Himmel in die Lungen zu saugen schien, Jetzt ist er selbst der Rauch, denke ich. Und jetz t …
O Gott, jetzt rieche ich es sogar. Der Wind treibt den Rauch herüber wie einen schwarzen Vogel. Es riecht nach Benzin und nach Schießpulver, ganz ähnlich wie bei Mohammed, der direkt über mir erschossen wurde. Also sieht man das Ende erst, dann hört man es, und zuletzt kommt der Gestank.
Dad sagt etwas.
Ich höre nicht hin. Ich sehe kaum noch etwas. Ich dachte, alle Konturen und Farben der Welt hätten sich verändert, als Farouz erschien, aber nun hat er diese Welt verlassen, und die Welt ist nur noch grau.
Ich schließe die Augen, ein tiefschwarzer Ozean umfängt mich, und ich ertrinke.
36 Durch das schimmernde Wasser blickte ich zur Sonnenscheibe hinauf. Sie bebte und glühte.
Ich hielt den Atem an und hörte das Wasser in den Ohren rauschen. Die Stimmen meiner Eltern kamen aus weiter Ferne, von der anderen Seite einer Barriere.
Wir waren im Strandhaus auf dem
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