Nur 15 Sekunden
bloß, du hast heute Geburtstag», sagte Rich.
«Nein, erst im April.»
Auf dem Päckchen klebte eine Karte ohne Umschlag, auf der ein kleiner brauner Bär zu sehen war, mit niedlichem Lächeln und einem Sträußchen aus roten und blauen Blumen in der Hand. Wie eine Geburtstagskarte für ein Kind. Noch hoffte ich, dass das Päckchen vielleicht nur irrtümlich an meiner Tür gelandet war, aber das war nicht sehr wahrscheinlich. Ich las das Gedicht, das auf der Karte stand:
Rosen sind rot, Veilchen sind blau, ich hab dich gern, das weiß ich genau
.Dann schlug ich sie auf. Innen stand mit schwarzem Stift in einer kindlichen Handschrift:
Für Darcy. In Liebe, Joe
.
Ich hatte mein Gesicht wohl nicht ganz in der Gewalt, denn Rich fragte: «Was ist denn los?»
Ich sah ihn an, sah seine liebevolle, besorgte Miene und bat ihn, mit ins Haus zu kommen.
Drinnen war es ziemlich unordentlich, doch das störte mich nicht. Hugo war der Ordentliche von uns beiden gewesen; ich hatte spätestens seit Bens Geburt aufgehört, mich um solche Kleinigkeiten wie den Haushalt zu sorgen. Ich bezahlte eine Putzfrau, die einmal pro Woche kam, um für die Grundsauberkeit zu sorgen und gleichzeitig etwas von unserem Chaos zu beseitigen. Und wir wohnten ja erst seit zwei Monaten hier, sodass es noch nicht ganz so schlimm war. Als Rich hinter mir ins Haus trat, bekam er meine Standarderklärung zu hören: «Ich könnte jetzt etwas Richtung ‹Entschuldige die Unordnung› sagen, aber für unsere Verhältnisse sieht es eigentlich ganz gut aus.»
Er lächelte. «Zumindest wirkt es bewohnt.»
«Eben.»
Wir setzten uns auf das blaue Sofa im Wohnzimmer, vor dem ein gläserner Couchtisch voller Bücher und Zeitschriften stand. Auf einem Taschenbuch kippelte ein halb ausgetrunkenes Wasserglas, das Ben am Abend zuvor dort abgestellt hatte. Eigentlich ein Wunder, dass Mitzi und Ahab es nicht schon längst bei einer ihrer wilden Jagden durch das Haus umgeworfen hatten.
«Und, von wem ist das Geschenk?», fragte Rich.
«Da ist dieser Typ von der Arbeit. Joe Coffin.» Ich verdrehte die Augen. «Er hat früher auch auf Martha’s Vineyard gelebt und mich aus irgendeinem Grund zu seinem Schwarm erkoren. Er ist höchstens zweiundzwanzig. Völlig absurd.»
«Meine Güte.»
«Das kannst du laut sagen.»
«Er scheint aber ziemlich hartnäckig zu sein, wenn er dir sogar Geschenke bringt.»
«Hartnäckig ist gar kein Ausdruck. Mein Redakteur und ich werden am Montag offiziell Beschwerde gegen ihn einlegen.»
«Jedenfalls weiß der Kerl, wo du wohnst.»
Als Rich das sagte, hatte ich plötzlich ein flaues Gefühl im Magen, versuchte aber, es nicht weiter zu beachten. «Heute findet man doch so ziemlich jede Adresse im Internet», sagte ich. «Und du darfst nicht vergessen, dass wir denselben Arbeitgeber haben. Er hat mich hier zu Hause angerufen, da habe ich schon befürchtet, dass er auch meine Adresse herausbekommen hat.»
«Er hat dich angerufen?»
«Mehrfach. Insgesamt hat er es sechzigmal klingeln lassen. Ich habe mitgezählt.»
«Das hört sich aber gar nicht gut an, Darcy. Hast du schon mal daran gedacht, zur Polizei zu gehen?»
«Das scheint mir irgendwie verfrüht.»
«Mir nicht, ehrlich gesagt. Für mich klingt das, als hättest du einen Stalker.»
Es war das zweite Mal, dass dieser Begriff fiel. Das erste Mal hatte ich ihn selbst Sara gegenüber verwendet, noch halb im Scherz. Jetzt hörte ich ihn von einem gewissermaßen unbeteiligten Beobachter. Meine Befürchtungen wuchsen. Wie weit würde Joe gehen? Die ganze Woche über hatte ich versucht, mir einzureden, dass er jeden Moment aufhören würde. Aber aus «jeden Moment» würde «morgen» werden und aus «morgen» «nächste Woche». Was, wenn Rich recht hatte? War die Sache am Ende doch ernster, als ich mir eingestehen wollte? War Joe tatsächlich ein Stalker? Warum sollte ich gleich vom Schlimmsten ausgehen, wenn das Ganze auch mit Geduld und einer ernsten Verwarnung vom Personalchef zu lösen war?
«Joe und ich sind gewissermaßen Kollegen, zumindest arbeiten wir für dieselbe Zeitung. Nach allem, was ich höre, hat man bei der
Times
etwas gegen allzu große öffentliche Aufmerksamkeit, auch wenn das nicht einer gewissen Ironie entbehrt. Außerdem arbeite ich gerade an einer äußerst heiklen Geschichte, das will ich jetzt nicht vermasseln.»
«Die Knochen von der Pacific Street?»
«Du hast es also auch gelesen?»
«Faszinierende Geschichte. Ich habe mir schon gedacht, dass
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