Nur 15 Sekunden
Yankees-Shirt packte er nur ein, wenn wir zu meiner Mutter nach New York fuhren. Jetzt, da wir hier wohnten, schien er eine Trendwende einleiten zu wollen.
«Wir leben schließlich hier», erklärte er. «Und so übel sind die Yankees ja auch nicht.»
«War’s denn schön gestern?»
«Voll gut. Matsui, du weißt schon? Der kann vielleicht werfen!»
«Und wie war es, bei Henry zu schlafen?»
«Viel geschlafen haben wir ja nicht.» Ben grinste, weil er wusste, wie sehr mir diese Faxenmacherei bei Übernachtungsbesuchen missfiel. Am nächsten Tag war Ben immer so müde, dass er sich nicht mehr auf die Hausaufgaben konzentrieren konnte, die er aufs Wochenende verschobenhatte. «Keine Sorge, Mom, ein bisschen Schlaf hab ich schon gekriegt. Immer her mit der Projektarbeit und dem Englischaufsatz und den zwanzig Matheaufgaben und der Sozialkundeprüfung am Montag.» Er ließ sich theatralisch zu Boden fallen. Ich beschloss, mich diesmal zurückzuhalten, hängte meine Yankees-Kappe an den Haken neben der Haustür und wandte mich ab.
Aber ganz konnte ich es dann doch nicht lassen. Als ich schon halb die Treppe hoch war, drehte ich mich noch einmal um und fragte: «Hast du dir seit gestern Morgen eigentlich mal die Zähne geputzt?»
Ben blieb auf dem Boden liegen und stellte sich schlafend. Wie er so dalag, lang ausgestreckt in Jeans, Turnschuhen und Yankees-Trikot, hatte er etwas von einem zu groß geratenen Kleinkind. Seine Haare sahen furchtbar aus. Ich liebte ihn so sehr. Aber meine Frage blieb natürlich unbeantwortet. Ich würde ihm noch ein, zwei Stunden geben, bis zum Mittagessen; vielleicht hatte er sich bis dahin wieder etwas mehr daran gewöhnt, zurück zu Hause zu sein.
Ich legte mich aufs Bett und nahm mein Notebook auf den Schoß. Roch ich Rich tatsächlich noch in den Laken, oder bildete ich mir das ein? Ich versuchte, mich an jedes einzelne Detail der letzten Nacht zu erinnern. Seine weiche Haut an meiner. Seine samtige Zunge. Die Erregung, der Sex, diese Mischung aus Lust und Erschrecken, als er zum ersten Mal in mich eindrang. Und das Gefühl, dass absolut nichts Falsches daran, dass es ganz und gar richtig war. Das Gefühl, alles einfach nur zu genießen. Und seine weitgeöffneten Augen hinterher, dieser Blick, mit dem er mich über das gemeinsame Kissen hinweg betrachtete, ohne auch nur einmal zu blinzeln.
Walnuss. Danach roch er. Ich schloss die Augen und rief mir seinen Duft in Erinnerung.
Bens trampelnde Schritte auf der Treppe holten mich wieder in die Gegenwart zurück. Als er an meinem Zimmer vorbeikam, streckte er rasch den Kopf herein, um zu sehen, was ich machte, und als er mich, wie so oft, mit dem Notebook auf dem Bett liegen sah, drehte er sich wieder um und verschwand. Gleich darauf hörte ich die Dusche. Sehr gut. Er achtete inzwischen weitgehend selbst auf die Körperpflege, ohne mehrmalige Aufforderung. Und trotzdem fiel es mir schwer, die Rolle des Hygieneapostels aufzugeben. Dabei halfen Ermahnungen von mir inzwischen nicht nur nichts mehr, sondern schmälerten seine Motivation sogar noch deutlich. Er war ein pubertierender Junge, er brauchte Freiräume. Da würde ich noch an mir arbeiten müssen.
Ich schaltete mein Notebook ein und checkte als Erstes meine Mails. Eine Reihe von Nachrichten füllte den Posteingang, hauptsächlich Spam-Mails, die ich systematisch löschte. Doch es war auch eine von Sara darunter, die sie kurz nach unserem Telefonat am Abend zuvor geschrieben hatte. Ich öffnete sie.
«Hallo, Süße, hattest du ein schönes Date? ☺ Die Babysitterin wird gleich kommen, ich muss mich also sputen. Schließlich wollen wir ja nicht zu spät ins Kino kommen, wenn wir schon einmal im Jahr Ausgang haben (haha)! Vielleicht gehen wir anschließend sogar noch essen, falls wir das hinkriegen. Morgen ist die Hochzeit in Cape Cod, wir werden also ganz früh aufbrechen und erst spät zurück sein. Wollen wir am Sonntag telefonieren? Dann musst du mir ALLES erzählen. Ich kann’s kaum erwarten! Dicken Kuss, Sara.»
Eine weitere Mail kam von Courtney: «Schon Kontakt gehabt?» Sie meinte natürlich Abe Starkman. Ich schrieb zurück, dass ich noch nichts von ihm gehört hatte. «Aber dafür gibt es Neuigkeiten von Joe Coffin … er hat mir einGERAHMTES FOTO VON SICH an die Tür gehängt!!! Der Junge kann wohl auch nach acht Stunden in der Poststelle nicht aufhören, den Briefträger zu spielen …»
Fast wäre ich anschließend noch ins Internet gegangen, um eine
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